Kognition in Online-Umgebungen

Die Online-Welt birgt zahlreiche Herausforderungen: Manipulative Entscheidungsstrukturen, Informationsüberfluss oder auch die Verbreitung von potenziell gefährlichen Fehlinformationen. Unser Ziel ist es, ein evidenzbasiertes Verständnis für die Dynamik und die spezifischen Herausforderungen in Online-Umgebungen zu entwickeln und einen Fahrplan zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu erstellen. Unser Ansatz umfasst Online- und Feldexperimente, konzeptionelle und modellierende Herangehensweisen sowie die Synthese von Erkenntnissen in der Form von systematischen oder expert*innenbasierten Übersichtspapieren.

Online-Umgebungen und Demokratie

Trägt das Nutzen von Online-Umgebungen zur Informations- und Meinungsbildung zu einem Rückgang der Demokratie bei? Wir untersuchen die Auswirkungen digitaler Plattformen auf den öffentlichen Diskurs und das politische Verhalten. Dazu kombinieren wir kausale und korrelative Evidenz und führen Feldexperimente durch. Unser Ziel ist, ein umfassendes Verständnis zu erlangen, wie Online-Umgebungen politisch relevante Verhaltensweisen und Einstellungen beeinflussen. Zum Beispiel: Wie können Empfehlungsalgorithmen die Qualität einer Online-Diskussion verändern? Wie können soziale Informationen beeinflussen, ob Menschen einer Informationsquelle vertrauen?

Philipp Lorenz-Spreen spricht in der zweiten Podcast-Folge über das Verhältnis von Sozialen Medien und Demokratie mehr

Kompetenzen für digitale Bürger*innen

In einer Welt des Informationsüberflusses ist Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource, die schnell ausgeschöpft ist. Zudem entspricht nicht alles im Internet den behaupteten Tatsachen, und Menschen werden oft in die Falle von unqualifizierten, falschen und manipulativen Informationen gelockt. In unserer konzeptionellen Forschung schlagen wir vor, dass neue Kompetenzen erforderlich sind, um Menschen zu helfen, ihre Aufmerksamkeit und Autonomie online zurückzugewinnen. Eine Schlüsselkompetenz ist das kritische Ignorieren: die Fähigkeit, auszuwählen, was ignoriert werden soll und worin man seine Aufmerksamkeit investieren sollte. In unserer empirischen Forschung testen wir einfache kognitive Interventionen. Diese zielen darauf ab, digitale Kompetenzen zu stärken (zu “boosten”). Dazu gehört auch laterales Lesen, eine Strategie die von Faktenchecker*innen zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit von Online-Informationen eingesetzt wird. Ein anderes Beispiel ist Self-Nudging, eine situative Strategie, die der Selbstkontrolle dient, indem die Informationsumgebung angepasst wird. Ziel ist es, Ablenkungen zu minimieren und die Qualität der enthaltenen Informationen zu verbessern.

Ein Artikel über kritisches Ignorieren – der Kompetenz zu entscheiden, was man ignoriert und wie man seine begrenzten Aufmerksamkeitskapazitäten nutzt. mehr
Schnell verliert man sich unbewusst oder auch ungewollt im Strudel der sozialen Medien. Kritisches Ignorieren als Mittel gegen diesen digitalen Stress stellt Anastasia Kozyreva aus dem Forschungsbereich für Adaptive Rationalität im neuen Deutschlandfunkbeitrag vor.
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Umgang mit Fehlinformationen und Manipulation

Die Verbreitung falscher und irreführender Informationen in sozialen Netzwerken ist ein globales Problem, das dringend Lösungen erfordert. Sowohl auf individueller als auch auf systemischer Ebene sind Maßnahmen notwendig, um dieses Problem anzugehen. Auf systemischer Ebene konzentrieren wir uns auf die öffentliche Einstellung zu moralischen Dilemmas der Content Moderation, wenn zwischen Meinungsfreiheit und Eindämmung von Fehlinformation entschieden werden muss. Auf individueller Ebene entwickeln wir eine Toolbox mit Interventionen, die auf unsere Kognition und/oder auf unser Verhalten abzielen, um Fehlinformationen und Manipulation im Online-Bereich zu bekämpfen. Wir gehen auch auf die Herausforderung hochgradig personalisierter Werbung ein, einschließlich persönlichkeitsbasierter Mikrozielgruppenansprache (“Microtargeting”). Mit der Entwicklung von Selbstreflexionsinstrumenten wollen wir Menschen dazu anregen, über die eigene potenzielle Verletzbarkeit im Netz nachzudenken.

Eine Studie ermittelt, wie Menschen Dilemmas bei der Moderation von Online-Inhalten lösen. mehr

Das Teilen von Informationen online

Im Internet können Informationen mit einem Klick geteilt werden. Dieser individuelle Akt kann zu kollektiven Dynamiken beitragen, die als virale Verbreitung von Inhalten bekannt sind. Um diese Dynamiken zu verstehen und möglicherweise zu verbessern, halten wir es für entscheidend, Einblicke in die individuellen Beweggründe für das Teilen von Informationen online zu gewinnen und wie sie mit der Online-Umgebung interagieren. Wir untersuchen die Motive der Menschen, Informationen in sozialen Medien zu verbreiten und ob diese hinsichtlich des Inhalts ökologisch rational sind; den Einfluss von Newsfeeds auf das Teilverhalten; und ob ein Engagement basiertes Ranking dieser Rangfolge aufsehenerregende Nachrichten fördert, sowie ob alternative Rangfolge helfen können, die Verbreitung von Fehlinformationen zu stoppen.

References

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Lorenz-Spreen, P., Oswald, L., Lewandowsky, S., & Hertwig, R. (2023). A systematic review of worldwide causal and correlational evidence on digital media and democracy. Nature Human Behaviour, 7(1), 74–101. https://doi.org/10.1038/s41562-022-01460-1

Kozyreva, A., Herzog, S. M., Lewandowsky, S., Hertwig, R., Lorenz-Spreen, P., Leiser, M., & Reifler, J. (2023). Resolving content moderation dilemmas between free speech and harmful misinformation. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 120(7), Article e2210666120. https://doi.org/10.1073/pnas.2210666120

Kozyreva, A., Wineburg, S., Lewandowsky, S., & Hertwig, R. (2023). Critical ignoring as a core competence for digital citizens. Current Directions in Psychological Science, 32(1), 81–88. https://doi.org/10.1177/09637214221121570

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