Emotionen und Temporalitäten - Zukunft mit Gefühl
Südasien 1912-1970
Margrit Pernau
Die Geschichte der Temporalitäten untersucht die Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dieses Projekt zielt auf eine Integration der Emotionsgeschichte in die Geschichte der Temporalitäten. Es untersucht am Beispiel von Nordindien und Pakistan (1912-1970) die Gefühle, welche durch die Interpretation der Gegenwart und die Imagination der Zukunft zugleich hervorgerufen wurden und diese leiteten. Der Fokus auf Emotionen erlaubt nicht nur einen nuancierten und innovativen Zugang zu Zukunftskonzepten, sondern trägt auch dazu bei zu erklären, wie imaginierte Zukünfte ihre Plausibilität erlangten oder verloren und in welcher Weise dies die Handlungsoptionen in der Gegenwart beeinflusste.
Statt zu definieren und vorauszusetzen, was Zukunftsbegriffe wie „Moderne“ oder „Fortschritt“ bedeuten, konzentriert sich das Projekt auf die Erfahrungen, die die Akteure selbst mit diesen Begriffen assoziieren: Welches sind die Begriffe, die für die Imagination und das Sprechen über die Zukunft verwendet wurden? Welche Gefühle wurden mit diesen Begriffe verknüpft und wie veränderten sie sich über die Zeit? Wie sah das semantische Netz aus, das den zeitgenössischen Akteuren zu Verfügung stand, um sich über die Gegenwart und die Zukunft zu verständigen, über ihre Analyse und ihre Anforderungen, über Aufgaben, die sie mit sich brachten und über die Gefühle und Leidenschaften, die sie hervorriefen? Hoffnung und Furcht werden häufig als typisch zukunftsorientierte Emotionen beschrieben. Aber fühlt sich Hoffnung im Jahr 1912 genauso an wie in den 1960ern? Wie sind individuelle Emotionen an eine Stimmung oder an eine Atmosphäre gebunden, die Zeitgenossen oder Historiker als charakteristisch für eine Epoche ansehen? Was passiert, wenn 1947 die nordindische Urdu-Sphäre zwischen Indien und Pakistan geteilt wird?
Dieses Projekt stützt sich auf vielfältige Quellen. Zentral ist die Analyse von Temporalitäts- und Emotionsbegriffen in Urdu- und englischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften sowie anderen Publikationen mit einer großen Reichweite. Diese werden ergänzt durch nicht-schriftliche Quellen: das visuelle Archiv der lithographierten Werbeanzeigen und Fotografien, sowie des frühen Hindi Kino; die architektonischen Interventionen im Stadtbild von Delhi und Lahore, die danach trachteten, Moderne in Stein zu bauen und so ein materiellen Umfeld zu schaffen, das die angemessenen Gefühle für die Zukunft erzeugen würde.