"Keine Rendite mit der Miete!"

Moralische Ökonomien des Wohnens: Gemeinnützige Wohnungsversorgung im deutschsprachigen Raum (20. /21. Jahrhundert)

Tobias Bernet (Dissertationsprojekt)

Wohnen ist ein Grundbedürfnis; die Versorgung mit angemessenem Wohnraum gilt daher als grundlegendes Menschenrecht. Dennoch tritt Wohnraum auch in Ländern mit umfassenden wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen in ganz verschiedenen institutionellen Gewändern auf: als Ware, als Sozialleistung sowie in manchen Fällen als eine Art Gemeingut. Diese verschiedenen Formen von Eigentum und Verteilung stellten während des 20. Jahrhunderts immer wieder ein Kernthema von Kämpfen für bezahlbaren Wohnraum dar. Die vielfältigen sozialen Bewegungen, die sich damit befassten, strebten dabei oft eine teilweise Dekommodifizierung des Wohnungsbestandes an. Im deutschsprachigen Raum kam diesem Anliegen stets besondere Bedeutung zu, da Deutschland, Österreich und die Schweiz als „Mieternationen“ die niedrigsten Wohneigentumsquoten aller industrialisierten Länder haben.

Der gemeinnützige Wohnungsbau umfasst seit dem 19. Jahrhundert im Allgemeinen zwei institutionelle Bereiche: zum einen den öffentlichen Wohnungsbau durch staatliche Stellen oder von diesen beauftragte oder geförderte Körperschaften, zum anderen Wohnungsbau durch Organisationen aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor, namentlich Genossenschaften. Im Zuge der postfordistischen Transformationen seit den 1970er-Jahren kamen neue Formen kollektiven Wohnens auf: Vielerorts gelang es beispielsweise Gruppen vormaliger Hausbesetzer oder Mieter, zu rechtmäßigen (gemeinschaftlichen) Eigentümern ihrer Häuser zu werden.

Das Dissertationsprojekt untersucht die Geschichte von Bewegungen und Organisationen der gemeinnützigen Wohnungsversorgung im deutschsprachigen Raum. Der Wiederaufschwung genossenschaftlicher Werte und Konzepte seit den 1970er-Jahren stellt dabei einen Schwerpunkt dar. Das Projekt zielt darauf ab, mithilfe historischer wie auch ethnographischer Methoden Diskurse und Auseinandersetzungen zu erforschen, die als Elemente einer moralischen Ökonomie des Wohnen betrachtet werden können: Welche Werte und Ideen haben die Entstehung und den Wandel verschiedener Arten des gemeinnützigen Wohnens geprägt? Welche Bedeutung schreiben beispielsweise Mitglieder alternativer Wohnprojekte ihrer "kollektiven" Lebensweise zu? Die Erforschung dieser und ähnlicher Fragen soll zu einem Verständnis des Wohnens als einer Dimension modernen Lebens beitragen, die allgemeinere sozioökonomische und normative Veränderungen widerspiegelt.

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