Räume und emotionale Stile

Kriegsopfer in der Zwischenkriegszeit (1920er – 1930er Jahre)

Thomas Rohringer (abgeschlossenes Dissertationsprojekt, 2019)

Der Erste Weltkrieg veränderte nicht nur die politische Landkarte Europas, sondern brachte auch neue sozialpolitische Herausforderungen mit sich, insbesondere im Hinblick auf die Fürsorge für Kriegsbeschädigte und –hinterbliebene. Die sozialpolitische Gesetzgebung, die daraus resultierte, gilt als bedeutender Schritt in der Herausbildung des modernen Wohlfahrtsstaates. Staatliche Maßnahmen sollten die Folgen des industrialisierten Krieges lindern. Diese verfolgten jedoch nicht nur wohltätige Zwecke, sondern hatten auch weitreichende soziale, moralische und emotionale Implikationen für die Rolle der Kriegsopfer in der Gesellschaft.

Vier spezifische soziale Räume stehen im Fokus dieses Dissertationsprojektes: Kriegerdenkmäler, Arbeitsplatz, Familie und bürokratische Institutionen. Ihre Untersuchung dient der Erforschung der ambivalenten und auf vielfältige Weise verflochtenen Beziehung zwischen modernen Wohlfahrtsstaaten und moralischen Ökonomien.

Als Quellen werden dabei die Publikationsorgane der Kriegsopferorganisationen sowie Selbstzeugnisse einzelner Kriegsopfer in Großbritannien und Österreich herangezogen. Deren Analyse soll zum Vorschein bringen, ob und inwieweit Organisationen und Individuen sich in ihrer Förderung, Bewertung und auch Verurteilung bestimmter Werte, Moralvorstellungen und Emotionen - wie etwa Willenskraft, Trauer, Solidarität oder Angst - unterschieden.

Ziel des Dissertationsprojektes ist herauszustellen, auf welche Weise die Kriegsopfer auf die geschlechterspezifischen Moralvorstellungen reagierten, die der britischen und österreichischen Sozialpolitik zugrunde lagen. Das Konzept der emotionalen Stile, das am Schnittpunkt von sozialen Normen und individuellen Handlungen situiert ist, kann dabei ein besseres Verständnis der Subjektivierungsprozesse moralischer Normen und emotionaler Standards ermöglichen: Welche moralischen und emotionalen Werte dienten den Kriegsopfern als Legitimationsgrundlage dafür, die staatlichen Maßnahmen gutzuheißen oder abzulehnen? Das Dissertationsprojekt ermöglicht somit einen Einblick in die Art und Weise, wie emotionale Stile Moralvorstellungen und deren soziale Praktiken beeinflussen.

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