„Nur nicht langweilig werden“ – Neue Publikation zur „Besatzungsmacht Musik“

Soeben erschienener Sammelband gewährt neue Einblicke in die Fortsetzung des Krieges mit musikalischen Mitteln

25. September 2012

Musik hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Zeitalter der Weltkriege, zahlreiche Funktionen: Sie erklang als Teil der Propaganda, als Instrument der Besatzung und als Strategie des Widerstandes. Musikstücke ertönten, um die feindlichen Köpfe und Herzen zu erobern, andere verstummten unter Zensur und Terror. Ein von Sarah Zalfen und Sven Oliver Müller (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung) herausgegebener Sammelband, der soeben erschienen ist, beleuchtet das Musikleben unter deutscher Besatzung im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie im besetzten Deutschland nach 1945.

Im Fokus der Publikation steht die Frage, wie musikalische Emotionen als Formen der Kommunikation innerhalb einer Kriegsgesellschaft sowie zwischen den Gegnern ihren Ausdruck fanden und wirkten. Mit seiner Untergliederung in die drei Hauptkapitel „Musik als Besatzungsinstrument“, „Bedrohte Musik – Bedrohung Musik“ sowie „Musikalische Antworten auf Krieg und Besatzung“ trägt der Band den unterschiedlichen Funktionen Rechnung, welche der Musik innerhalb der Besatzungspolitiken dieser Epoche zukamen. Nicht selten waren die Rezeption, Bewertung und strategische Aneignung von Musik dabei ambivalent: So beschreibt Stephanie Kleiner in ihrem Beitrag zur Musikpolitik während der Rheinlandbesetzung nach dem Ersten Weltkrieg, wie Richard Wagners Opern gleichermaßen als „Vehikel französischer Machtimplementierung“ und als „Bestandteil eines ‚rheinischen Befreiungskampfes’“ der Deutschen gegen die Franzosen gewendet werden konnten.

Deutsche Gewalt und deutsche Musik als ähnliche Muster nationalsozialistischer Aggression

Wie sehr sich die Muster der nationalsozialistischen Besatzungspolitik und Kriegsführung auf der einen Seite sowie der kulturpolitischen Hegemonie Deutschlands auf der anderen Seite ähnelten, zeigen die Beiträge von Hanns-Werner Heister und Katarzyna Naliwajek-Mazurek: Franzosen und Niederländer wurden einer vermeintlich überlegenen „Deutschen Musik“ ausgesetzt, um emotional gewonnen und ästhetisch „belehrt“ zu werden. Im besetzten Polen fiel die musikalische Demonstration deutscher Macht ungleich schrecklicher aus: Sie reichte vom Berufsverbot polnischer Musiker über die Sperrung musikalischer Aufführungen für das polnische Publikum und die Aneignung polnischer Komponisten – allen voran Frederic Chopin – bis hin zur „Deutschen Musik“, die noch in den Vernichtungslagern erklang.

Das Aufrechterhalten des Musiklebens konnte in prekären Besatzungszeiten wiederum für ein Gefühl von Kontinuität und Sicherheit sorgen und Besatzungsziele zugleich kaschieren und in eine symbolische Sprache übersetzen. Ganz im Sinne des strategischen Diktums von Goebbels – „Nur nicht langweilig werden. Nur keine Öde. Nur nicht die Gesinnung auf den Präsentierteller legen.“ – war es auch der geteilte Genuss von Besatzern und Besetzten bei gemeinsamen Opern- und Konzertbesuchen im Rahmen von Tourneen von Orchestern oder Ensembles, der unterschwellig kulturpolitische Ansprüche vermittelte. Sven Oliver Müller demonstriert in seiner Darstellung der Tourneen der Berliner Philharmoniker während des Zweiten Weltkriegs, dass der Erfolg der Besatzungsmacht Musik dabei vielfach – wie in Paris – auf etablierten sozialen Traditionen beruhte: Ohne den deutsch-französischen Kulturtransfer im Musikleben der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hätte der Einsatz von Musik im besetzten Paris nicht als erfolgreiche hegemoniale Strategie betrachtet werden können.

Dass die Macht der Musik sogar gegen kulturpolitische Intentionen wirken konnte, veranschaulicht Anja Gallenkamp in ihrem Beitrag zum Frankfurter Jazzleben am Beispiel der Besatzungsmacht USA: Begegnungen zwischen dem Militär angehörenden amerikanischen und zivilen deutschen Jazzmusikern führten zu einem lebendigen Musikleben und Erblühen des Jazz im Nachkriegsdeutschland unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Originalstudie
Zalfen, S., & Müller, S. O. (Hrsg.). (2012). Besatzungsmacht Musik. Zur Musik- und Emotionsgeschichte im Zeitalter der Weltkriege (1914–1949). Bielefeld: transcript Verlag.

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