Leitlinie 2: Science-Fiction-Forschung
Um die Auswirkungen zukünftiger Technologien auf den Menschen zu antizipieren, kombinieren wir unsere Vorstellungen von einer möglichen Zukunft mit einem wissenschaftlichen Ansatz der Verhaltensforschung.
Science-Fiction ermöglicht uns die Vorstellung alternativer zukünftiger Welten, die von wissenschaftlichen und technologischen Umbrüchen geprägt sind. Sie hilft uns ebenfalls zu untersuchen, wie diese Umbrüche das menschliche Verhalten verändern könnten. Die Science-Fiction-Literatur konzentriert sich jedoch jeweils nur auf ein Narrativ. Die Bereiche Zukunftsstudien und Design Fiction nutzen eine systematische Herangehensweise, um den künftigen technologischen Wandel zu antizipieren. Dabei kommen festgeschriebene Designpraktiken oder qualitative und quantitative Prognoseverfahren zum Einsatz. Es ist jedoch nach wie vor schwierig, die Auswirkungen dieser Zukunftsszenarien auf das menschliche Verhalten vorherzusehen.
Die Science-Fiction-Forschung (SFS) versucht, Zukunftsszenarien zu simulieren, um Hypothesen über das menschliche Verhalten in diesen Zukunftsszenarien zu testen. Dabei wird die Vorstellungskraft der Science-Fiction mit den Methoden der Verhaltensforschung kombiniert. Bevor vollautonome Fahrzeuge Realität werden, könnten beispielsweise Computersimulationen des Fahrzeugverhaltens und das Verständnis der Mobilität von Menschen genutzt werden, um zu prognostizieren, wie autonome Fahrzeuge das Verkehrsverhalten oder die Treibhausgasemissionen beeinflussen. In ähnlicher Weise können systematisch Szenarien erstellt werden, in denen autonome Fahrzeuge auf der Straße mit ethischen Dilemmata konfrontiert werden, wie im Experiment „The Moral Machine“. Hierbei wird empirisch untersucht, wie Menschen verschiedene Verhaltensweisen vollautonomer Fahrzeuge beurteilen, bevor die Technologie eingesetzt wird. Dieser vorausschauende Ansatz ermöglicht es, Hypothesen über die menschliche Reaktion auf künftige Technologien zu testen und diese Reaktionen im Laufe der Zeit zu beobachten.
Neben der Simulation von Zukunftsszenarien kann die Methodik eines Science-Fiction-Forschungsansatzes auch erfordern, neue Technologien proaktiv zu erfinden oder die Grenzen bestehender Technologien auszuloten. In den Anfängen der sozialen Medien wurde beispielsweise untersucht, ob sie eine Zusammenarbeit verschiedener Akteure im großen Stil ermöglichen können. Dazu wurden Szenarien sozialer Mobilisierung unter Zeitdruck entworfen, demonstriert und anschließend untersucht, welche Möglichkeiten diese neuen Medien für die Zusammenarbeit bieten. Wie der Nobelpreisträger und Erfinder der Holografie Dennis Gabor einmal schrieb: „Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, wir können allenfalls Zukünfte erfinden.“
Publikationen
- Awad, E., Dsouza, S., Kim, R., Schulz, J., Henrich, J., Shariff, A., Bonnefon, J.-F., & Rahwan, I. (2018). The Moral Machine experiment. Nature, 563(7729), 59–64. https://doi.org/10.1038/s41586-018-0637-6
- Pickard, G., Pan, W., Rahwan, I., Cebrian, M., Crane, R., Madan, A., & Pentland, A. (2011). Time-Critical Social Mobilization. Science, 334(6055), 509–512. https://doi.org/10.1126/science.1205869