Gefühle mobilisieren


(Sich) Politisch fühlen: Die Politik der Straße

Ute Frevert

Bevor in Deutschland Parlamente eingerichtet und gewählt wurden, traten Bürgerinnen und Bürger in sozialen Bewegungen vereint mit Forderungen nach politischer Repräsentation in den öffentlichen Raum. Wer in solchen Vereinigungen und oft mit einem hohen Maß an emotionaler Erregung und Dynamik Demokratie ausübte, übte zugleich politische Gefühle ein.

Der Blick auf die Jahrzehnte vor der Revolution von 1848, auf die postrevolutionären 1920er und frühen 1930er Jahre (einschließlich der nationalsozialistischen Mobilisierung) und auf die sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre zeigt, wie Emotionen als mobilisierende Kräfte dienten und zugleich unerlässlich waren, um persönliches Engagement und politischen Aktivismus der Beteiligten wachzuhalten. Er beleuchtet aber auch die problematische Seite politischer Emotionen, da sie manchmal die Diskussion blockieren oder polarisieren und gemeinsames Handeln verhindern. Je mehr Leidenschaft in der Öffentlichkeit ausgelebt wird, desto ausgrenzender könnte Politik werden: So lautete das Argument, das der frühe Liberalismus gegen die politische Beteiligung von Frauen ins Feld führte. Hat es die historische Nagelprobe bestanden?


(Sich) Solidarisch fühlen: Internationale politische Bewegungen

Caroline Moine

Die lange Geschichte der internationalen Solidaritätsbewegungen vom 19. bis zum 20. Jahrhundert zeugt davon, welche Rolle Emotionen bei der politischen Mobilisierung über nationale Grenzen hinweg spielten. Im Namen der sogenannten universellen Brüderlichkeit, Solidarität der Völker oder Menschenrechte förderten sie ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Die Untersuchung beispielhafter politischer Mobilisierungen in Europa – wie während des Philhellenismus der 1820er Jahre und des spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) sowie gegen die lateinamerikanischen Diktaturen in den 1970er und 1980er Jahren – ermöglicht es, sowohl die Stärke als auch die Grenzen dieser internationalen Solidaritätsgefühle hervorzuheben. Diese Bewegungen, die von individuellen und kollektiven Gefühlen – wie Mitgefühl, Angst und Wut, aber auch Begeisterung und Hoffnung – geprägt wurden und diese Gefühle ihrerseits bei den Menschen schürten, entwickelten zugleich eine komplexe Beziehung zu Patriotismus sowie Staat. Die in ihnen wirkenden Emotionen beeinflussten auf diese Weise die etablierten politischen Institutionen.

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