Pastorale Politikberatung?
Religion, Macht und Moral im Spanien des 19. Jahrhunderts
Britt Schlünz (abgeschlossenes Dissertationsprojekt, 2021)
Das Dissertationsprojekt untersucht die Neuausrichtung des Verhältnisses von Religion und Politik nach dem Ende des Absolutismus in Spanien, während der Regierungszeit Isabella II (1833-1868). Anhand des Wirkens zweier klerikaler Protagonisten aus dem höfischen Umfeld der Regentin, ihres Beichtvaters Antonio María Clarets und der Nonne Sor Patrocinio soll das Spannungsverhältnis von Re-Spiritualisierung und Politik im Liberalismus analysiert werden.
Während für die spanische Geschichte des 19. Jahrhunderts bisher vor allem die starke Ausprägung antiklerikaler Gewalt und Politik im Fokus der Forschung stand, möchte dieses Projekt wiederum klerikale Strategien religiöser Beharrungskraft in den Vordergrund stellen: Die Zeitspanne zwischen dem Ersten Karlistenkrieg (1833-1840), einem Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Absolutismus und Vertretern der konstitutionellen Monarchie und der Revolution von 1868, war dabei insbesondere durch das Bemühen geprägt, den katholischen Glauben als präpolitische Ressource von Moral zu etablieren, wofür das Handeln der beiden im Projekt analysierten Akteure beispielhaft steht. In Zeiten schwindender politischer Macht der Kirche nutzten religiöse Akteure Ausdrucksformen von katholischer Frömmigkeit, um einen Einflussbereich neben der Politik zu etablieren. Dieser Einflussbereich wurde dabei sowohl in als auch gegen kirchliche Hierarchien errichtet. Beispiele dafür sind einerseits die missionarischen Aktivitäten Clarets in Spanien und Übersee, andererseits Sor Patrocinios weltlich und kirchlich angezweifelte religiöse Stigmatisation und ihre daraus resultierende Bekanntheit.
Mit der Fokussierung auf den königlichen Beichtvater Claret und die Nonne Sor Patrocinio können auch die geschlechterspezifischen Handlungsfelder dieser religiösen Neuorganisation in den Blick genommen werden – ein Fokus, der durch die konstante öffentliche Debatten über das Geschlecht der spanischen Monarchin und ihr als nonkonform angesehenes Verhalten eine besondere Relevanz erhielt.
Das Dissertationsprojekt schließt somit an eine europäische Geschichte des religiösen Wandels im 19. Jahrhundert sowie an Fragen zur Verbindung von Frömmigkeits- und Geschlechtergeschichte an und kann darüber hinaus auch einen Beitrag zur Frage nach Adaptionsmechanismen von (konstitutionellen) Monarchien im 19. Jahrhundert leisten.