Die Gefühle der Reformpädagogik

Eine transnationale Geschichte der Jamia Millia Islamia, Delhi

Margrit Pernau

Von der Jahrhundertwende bis zu den 1960er Jahren entstanden eine Reihe von pädagogischen Bewegungen, die als Zeichen von neuen transnationalen Emotionskulturen gedeutet werden können. Sie führten zu bedeutenden Änderungen in den pädagogischen und emotionalen Praktiken. Die Initiatoren der frühen, eher regionalen Unternehmungen begannen auf globaler Ebene zu interagieren, durch Bezugnahmen auf die gleichen Texten und Praktiken, durch gemeinsame Konzepte und Terminologie, aber zunehmend auch durch persönliche Kontakte.

Das Projekt beschäftigt sich mit der Geschichte der Jamia Millia Islamia in Delhi und erforscht, auf welche Weise sich ihre pädagogischen und nationalen Vorstellungen durch die Reinterpretation indischer Traditionen und durch transnationale Begegnungen formten. Die Einrichtung, die sich der Erziehung junger Menschen vom Kindergarten bis zum College widmet, war nach dem Ersten Weltkrieg als Alternative zu den kolonialen Bildungseinrichtungen gegründet worden. Sie nahm sowohl die früheren pädagogischen Experimente von Gandhi auf, als auch die Konzepte der deutschen (und bald auch transnationalen) Reformpädagogik. Gewiss war es das Ziel der Jamia Wissen zu vermitteln. Was jedoch noch bedeutsamer war, war das Hervorbringen "neuer Männer und Frauen", die die starken Emotionen hatten, die für die soziale Transformation notwendig waren, derer Indien bedurfte, um erfolgreich in der Zukunft bestehen zu können. Emotionen, so das Argument des Projekts,  waren zentral für die Diagnose der gegenwärtigen Zivilisationskrise. Sie waren ebenso zentral, um diese Krise mit Hilfe einer ganzheitlichen Bildung zu überwinden, einer Bildung, die den Geist, das Herz und die Hand zusammen brachte. Seit 1938 hatten die Ideen, die in der Jamia und ihrem Umfeld entwickelt wurden, einen bedeutenden Einfluss auf Na’i ta’lim, der offiziellen Bildungsstrategie des Kongress bis zum Ende der 1960er Jahre.

Das Projekt ist wertet das reichhaltige Archiv der Jamia aus, das nicht nur pädagogische Texte und Lehrmaterialien enthält, sondern auch Zeitschriften, öffentliche Reden, Theaterstücke, Kinderliteratur, Erinnerungen, Oral History Aufzeichnungen sowie umfassendes Bildmaterial.

Zur Redakteursansicht