Lernen in der freien Natur
In unseren Forschungsprojekten beobachten wir, wie sich Vermeidungsstrategien und soziale Lernprozesse, die wir bereits in Laborstudien nachweisen konnten, in natürlichen Umwelten entfalten. Um diese Beobachtungen durchführen zu können, haben wir unsere Studien vom Labor in den Garten verlegt.
LERNEN IM GARTEN
Wir haben vor kurzem die Datenerhebung für eine 3-jährige Langzeitstudie beendet, in der wir beobachteten, wie Kinder im Alter von 1 bis 6 Jahren Wissen über Pflanzen erwerben und dieses erinnern. Dazu hat unsere Forschungsgruppe ein Gartenprogramm entwickelt, bei dem die Kinder zunächst Samen und Setzlinge pflanzten und diese dann acht Wochen lang pflegten. Während dieser Zeit nahmen die Kinder an wöchentlichen Gartensitzungen teil, die von Mitgliedern der Forschungsgruppe geleitet wurden. Dabei wurden ihnen beim gemeinsamen Gärtnern die verschiedenen Eigenschaften der Pflanzen vermittelt. Jedes Jahr wurde sowohl vor als auch zum Ende des Gartenprogramms das Wissen der Kinder über die Pflanzen anhand standardisierter Aufgaben erfasst. Die Kinder wurden während der Gartensitzungen auf Video aufgenommen, um ihr Verhalten später kodieren zu können. Die Kodierung der Daten findet noch statt und wird uns einen Einblick darin geben, wie Kinder von anderen in einer natürlichen Umwelt lernen.
BLÜHENDES WISSEN
In einer zweiten Studie untersuchen wir Interaktionen zwischen Eltern und Kindern, während sie sich in einer natürlichen Umgebung befinden und gemeinsam Pflanzen betrachten. Für diese Studie haben wir Eltern und ihre Kinder zu einem Besuch in unseren Institutsgarten eingeladen, um zu beobachten, wie die Eltern ihren Kindern einige ausgewählte Pflanzen zeigen. Dies sollten sie auf eine möglichst natürliche Weise und ohne konkrete Anweisungen tun. Das Verhalten und der Informationsaustausch der Eltern und Kinder beim gemeinsamen Erkunden der Pflanzen wurde dabei für spätere Analysen auf Video aufgezeichnet. Erste Analysen haben bereits interessante Einblicke gewährt: Beispielsweise scheinen die olfaktorischen Informationen der Pflanzen besonders relevant in der Eltern-Kind-Kommunikation zu sein.
KULTURVERGLEICHENDE STUDIEN
Das Ziel dieses Projektes ist es zu erforschen, wie Kinder, die in verschiedenen kulturellen und natürlichen Umgebungen aufwachsen, mit Pflanzen umgehen. In Zusammenarbeit mit Anthropologen von der University of California, Los Angeles (UCLA), haben wir eine Studie mit den Shuar durchgeführt, einem indigenen Volk, das in den Wäldern des Amazonas in Ecuador ansässig ist und sich vom Jagen und Sammeln ernährt. Im Gegensatz zu Kindern, die in urbanen Gebieten westlicher Gesellschaften leben, wachsen die Kinder der Shuar eng verbunden mit der Natur auf. Dadurch sind sie viel näher im Kontakt mit sowohl angebauten als auch wildwachsenden Pflanzen und erwerben darüber Wissen von Erwachsenen, die umfangreiche Erfahrungen mit der dortigen Vegetation haben. Aus diesem Grund bietet die Lebensweise der Shuar die Grundlage für einen kulturübergreifenden Vergleich mit den bisherigen Teilnehmern unserer Studien, die in Stadt- oder Vorstadtgebieten aufgewachsen sind. Insbesondere sind wir an dem Vermeidungsverhalten und den sozialen Lernstrategien der Shuar Kinder gegenüber Pflanzen im Vergleich zu anderen Gegenständen interessiert.
ARTVERGLEICHENDE STUDIEN
Dieses Projekt untersucht, wie andere Arten mit unterschiedlicher Evolutionsgeschichte und natürlicher Ökologie mit Pflanzen interagieren. Dabei nutzen wir vergleichende experimentelle Methoden und beobachten das Verhalten unserer nächsten Verwandten, den nicht-menschlichen Primaten. Derzeit untersuchen wir, ob deren Verhaltensstrategien gegenüber Pflanzen den Vermeidungsstrategien ähneln, die unsere Gruppe bei Kindern beobachten konnte, oder ob sie sich von diesen unterscheiden. Wir erforschen die vier großen Menschenaffenarten (Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans) sowie Kapuzineraffen in Bezug auf ihr Verhalten gegenüber Pflanzen im Vergleich zu anderen natürlichen und künstlichen Objekten. Zu dieser Studie haben wir in Kollaboration mit Forschern vom Comparative Cognition Center an der Yale Universität vor Kurzem eine Datenerhebung im Wolfgang-Köhler-Primatenforschungszentrum (WKPRC) in Leipzig abgeschlossen.