Selektives soziales Lernen

Der Schwerpunkt dieses Forschungsgebiets liegt darin, wie Individuen im Laufe ihrer ontogenetischen Entwicklung Wissen über Pflanzen erwerben und anwenden. Eine Lernstrategie, bei der das Individuum verschiedene Verhaltensweisen ausprobiert, ist aufgrund der potentiellen Gefahren, die von Pflanzen ausgehen, insbesondere der nicht sichtbaren, wenig effektiv und kann lebensbedrohliche Folgen haben. Daher gehen wir davon aus, dass der Mensch in seinen kognitiven Strukturen pflanzenspezifische Verhaltensweisen und soziale Lernstrategien besitzt, um Informationen über Pflanzen von Personen zu erhalten, die über ein größeres Wissen verfügen. Zudem kann das erlernte Wissen unter neuen Bedingungen abgerufen und angewandt werden.

LERNEN, WAS ESSBAR IST

Zu lernen, was man essen kann, stellt den Menschen vor eine komplexere Aufgabe, als das bloße Identifizieren essbarer Pflanzen. Allerdings ist das Identifizieren essbarer Pflanzen ein besonders interessanter und informativer Teilaspekt dieser Herausforderung. Im Laufe der evolutionären Entwicklung haben Pflanzen der Menschheit schon immer als Nahrungsgrundlage gedient. Jedoch kommen Pflanzen in einer Vielzahl an Formen und Farben vor und haben keine verlässlichen Eigenschaften, welche signalisieren, ob sie für den Menschen essbar sind. Daher ist es nützlich, diese Informationen von anderen Individuen, die dieses Wissen besitzen, zu erlernen. Unsere Forschung in diesem Bereich untersucht, wie Kleinkinder soziale Informationen nutzen, um Wissen hinsichtlich der Essbarkeit von Pflanzen zu erwerben und ob diese Informationen auf die gleiche Weise für andere Objekte genutzt werden. Unsere ersten Ergebnisse weisen darauf hin, dass Kleinkinder selektiv soziale Informationen nutzen, um zu lernen, welche Pflanzen essbar sind (Wertz & Wynn, 2014a) und diese Informationen systematisch auf ähnlich aussehende Pflanzen übertragen (Wertz & Wynn, 2019). Diese Erkenntnisse legen nahe, dass das menschliche System zum Aneignen von Wissen über Essen sensibel hinsichtlich der spezifischen sozialen Information und des präsentierten Objekts ist. Unsere laufenden Studien in dieser Forschung untersuchen, inwieweit Kleinkinder diese Form des selektiven sozialen Lernens auf andere Bereiche übertragen. Hierbei erforschen wir, ob ähnliche Lernstrategien auch für andere Lebensmittel gelten und wie Kleinkinder auf pflanzliche Nahrungsmittel in unterschiedlichen Verarbeitungsstufen (z.B. ganze Pflanze, gepflückte Frucht, geschnittene Frucht oder stark verarbeitetes Lebensmittel) reagieren.

KATEGORISIERUNG

Das Erlernen von Informationen über einzelne Pflanzen oder Objekte alleine nützt dem Menschen nicht allzu viel. Das Übertragen bereits erlernter Informationen auf eine größere Anzahl von Objekten ist deshalb ein entscheidender Teil des Lernprozesses und erfordert die Fähigkeit, diese derselben Kategorie zuordnen zu können. Erlernt ein Kleinkind zum Beispiel, dass ein bestimmter Apfelbaum essbare Früchte trägt, kann diese Information nur sinnvoll außerhalb dieses spezifischen Kontextes genutzt werden, wenn das Kind in der Lage ist, andere Apfelbäume zu erkennen und die gelernten Informationen korrekt anzuwenden. Bislang sind die Prozesse, wie Kinder Pflanzen kategorisieren und Wissen über die Essbarkeit sowie potentielle Gefahren auf neue Exemplare übertragen, noch unerforscht. Wir möchten diese Prozesse im Rahmen zweier anlaufender Projekte ergründen: Erstens werden wir die visuellen Merkmale definieren, die Kinder nutzen, um Pflanzen von anderen Objekten zu unterscheiden. Die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder nicht einzelne Eigenschaften wie die Farbe isoliert nutzen. Beispielsweise vermeiden Kleinkinder grüne Pflanzen zu berühren, nicht aber grüne Gegenstände. Vor diesem Hintergrund entwickeln wir aktuell eine Studie, welche die Eigenschaften identifiziert, anhand derer Kinder ein Objekt als Pflanze kategorisieren und Pflanzenarten unterscheiden – Prozesse, die maßgeblich sind, um geeignete Rückschlüsse ziehen zu können. Zweitens sind wir an den Eigenschaften interessiert, die Babys und Kleinkinder dazu verwenden, um erlernte Informationen über Pflanzen auf neue Objekte zu übertragen. Unsere laufenden Studien zu dieser Forschung vergleichen Strategien zur Kategorisierung von Grünpflanzen und pflanzlichen Lebensmitteln (z.B. Obst und Gemüse) mit Strategien, die auf menschengemachte Artefakte angewendet werden (z.B. Werkzeuge). Einige unserer jüngsten Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, dass Kleinkinder eher auf die Form achten, wenn sie Informationen über den Gebrauch von Werkzeugen generalisieren. Sie scheinen jedoch weder Form noch Farbe zu bevorzugen, wenn sie Informationen über die Essbarkeit von Lebensmitteln verallgemeinern.

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