Die Politik der Bosheit
Recht, Wissenschaft und Gewalt gegen den Staat im Europa der Moderne
Daphne Rozenblatt (Projektlaufzeit 2017-2019)
Die Präsentation von Beweisen im Gerichtssaal entspricht häufig unserem Verständnis, dass "Fakten für sich selbst sprechen". Bei der Frage nach kriminellen Motiven ist dies jedoch selten der Fall. Schon seit dem Mittelalter konsultierten Gerichte Gutachten, die nicht aus dem juristischen Feld stammten. In der Neuzeit wandten sich viele medizinische Gutachter mehr und mehr vom Körper ab und hin zum Täter, indem sie beispielsweise nicht nur den Grund des Todes untersuchten, sondern auch den Grund der Tat.
In den Lebenswissenschaften des 19. Jahrhunderts wurden neue Techniken entwickelt, um kriminelle Motive zu untersuchen, und der moderne Gerichtssaal wurde zum Austragungsort immer heftigerer Debatten über die Triebe, Intentionen und Gefühle des Angeklagten. Letztlich hingen sein juristisches Schicksal und sein Strafmaß häufig von den emotionalen Fakten ab, die von Experten als krankhaft bewertet wurden.
Fälle, in denen die kriminelle Absicht besonders genau geprüft und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden – oftmals verbunden mit Forderungen nach der Änderung des Strafgesetzbuches –, waren politische Verbrechen und hier speziell Attentate auf Regierungsvertreter oder Königsmord.
Die Gefühle, die ein politisches Verbrechen antrieben, wurden jedoch anders diskutiert als die Gefühle, die in Fällen aus dem Zivilrecht eine Rolle spielten, und wurden mehr und mehr Beweis für kriminellen Wahnsinn. Der emotionale innere Zustand des Angeklagten und dem gegenüber seine Charakterisierung durch die Experten in Prozessen von politisch motivierten Attentaten reflektieren, wie Emotionen politisiert, kriminalisiert und als krankhafte Störung diagnostiziert wurden - mit Konsequenzen, die über den Gerichtssaal und den Fall selbst hinausgehen.