Unstatistik des Monats: Frankfurt und der Vatikan als Horte des Verbrechens

14. Mai 2013

Die Unstatistik des Monats Mai ist die Aussage "Frankfurt/Main deutsche Hauptstadt des Verbrechens", die am 12. Mai 2013 von der Online-Ausgabe der "Welt" verbreitet und von vielen anderen Medien übernommen wurde. Grundlage dieser Meldung ist die "Polizeiliche Kriminalstatistik 2012", die am 15. Mai vom Bundesminister des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, in Berlin vorgestellt wird. Diese Statistik fasst die in den verschiedenen Städten und Gemeinden Deutschlands polizeilich erfassten Straftaten zusammen und ist als solche nicht zu beanstanden.

Bei der Interpretation dieser Statistik wird jedoch häufig übersehen, dass zum Beispiel in einigen Städten Rauschgiftdelikte oder Schwarzfahrer aggressiver verfolgt und angezeigt werden als in anderen. Dies führt zu einer höheren Kriminalität in der offiziellen Statistik. Am bedenklichsten aus statistischer Sicht ist jedoch die Ermittlung von Rangfolgen durch Bezug der gemeldeten Fälle auf jeweils 100.000 Einwohner. Nach der so ermittelten aktuellen Statistik liegen Frankfurt am Main, Düsseldorf und Köln auf den drei ersten Plätzen, Augsburg und München auf den letzten.

Eine seriöse Rangfolge müsste aber nicht nur die reinen Einwohnerzahlen, sondern alle Menschen berücksichtigen, die in der jeweiligen Stadt Opfer wie auch Verursacher einer Straftat werden könnten. Dazu zählen auch Einpendler, Messebesucher, umsteigende Reisende am Hauptbahnhof oder Fluggäste. Die Stadt Frankfurt hat beispielsweise fast so viele Einpendler wie Einwohner, am Flughafen Frankfurt fliegen jedes Jahr rund 30 Millionen Menschen ab. Und genauso viele kommen an. Jede dort verübte Straftat – in der Regel Diebstähle – fällt statistisch der Stadt Frankfurt zur Last. Ähnliches gilt für Düsseldorf, mit ebenfalls überdurchschnittlich vielen Einpendlern, Messebesuchern und Fluggästen. Würde man die Zahl der verübten Straftaten durch die Zahl sämtlicher potenzieller Opfer und Täter teilen, käme vermutlich eine ganz andere und weitaus realistischere Rangliste heraus.

Zu welch absurden Ergebnissen die Kriminalstatistik auf Basis von Einwohnerzahlen führen kann, zeigt der Vatikanstaat. Er ist demnach das kriminellste Land der Erde. Wie "Radio Vatikan" berichtet, gab es dort im Jahr 2011 insgesamt 640 Zivil- und 226 Strafverfahren – deutlich mehr als eines je Vatikanbürger (492). Aber in 99 Prozent der Fälle waren nicht die Einwohner, sondern einer der rund 18 Millionen Besucher jährlich als Opfer oder Täter involviert. Deshalb sollte man versuchen, auch für die deutschen Städte Zahlen der potenziell Betroffenen zu ermitteln.

Zur Aktion „Unstatistik des Monats“

Gemeinsam mit dem RWI-Vizepräsidenten Thomas Bauer (Rheinisch-Westfälisches-Institut für Wirtschaftsforschung) und dem Dortmunder Statistiker Walter Krämer (TU Dortmund) hat der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, im Jahr 2012 die Aktion „Unstatistik des Monats“ ins Leben gerufen. Mit dieser Maßnahme hinterfragen die Wissenschaftler jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Die Aktion will so dazu beitragen, mit statistischen Daten vernünftig umzugehen, in Zahlen gefasste Abbilder der Wirklichkeit korrekt zu deuten und eine immer komplexere Welt und Umwelt sinnvoll und allgemein verständlich zu beschreiben.

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