Unstatistik des Monats: Ausmaß der Armutseinwanderung kleiner als berichtet
Die Unstatistik des Monats Februar thematisiert die Berichterstattung über das Ausmaß der Armutseinwanderung aus Bulgarien und Rumänien. So berichtete neben anderen großen Tageszeitungen beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 15. Februar unter der Überschrift "Städtetag besorgt über Armutseinwanderung": "Die jährliche Zahl der Armutseinwanderer aus Rumänien und Bulgarien hat sich in den vergangenen vier Jahren von 64 000 auf rund 147 000 mehr als verdoppelt; im ersten Halbjahr 2012 stieg die Zahl im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um 24 Prozent."
Das Blatt nahm dabei Bezug auf ein "Positionspapier des Deutschen Städtetages zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien". Während darin jedoch lediglich die Einwandererzahlen genannt wurden, wurden in der Berichterstattung alle Zuwanderer aus diesen beiden Ländern als Armutsmigranten klassifiziert.
Diese Darstellung vermittelt allerdings ein falsches Bild der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland. Daten des Mikrozensus zeigen, dass 80 Prozent der Menschen, die seit Beginn der EU-Mitgliedschaft im Jahr 2007 aus diesen beiden Ländern nach Deutschland gekommen sind, einer Erwerbsarbeit nachgehen.* Von diesen sind 22 Prozent hochqualifiziert und 46 Prozent qualifiziert. Bei diesen Zuwanderern handelt es sich häufig um Menschen mit Berufen, die wir in Deutschland dringend benötigen.
Sicherlich findet auch Zuwanderung von Migranten ohne Schul- oder und Berufsausbildung statt, die hier in prekären und teilweise menschenunwürdigen Verhältnissen leben und auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Die Freizügigkeit innerhalb der EU kann neben vielen Vorteilen eben auch dazu führen, dass arme Menschen nach Deutschland kommen, die das deutsche Sozialsystem belasten. Gerade in solch einer Situation sollte man sich jedoch die Struktur der Zuwanderung aus den neuen EU-Mitgliedstaaten genau ansehen, um daraus eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung zu entwickeln. Eine pauschale Klassifizierung aller Zuwanderer aus diesen Ländern als Armutsmigranten, die das Problem der Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme übertreibt, schadet da nur.
Zur Aktion „Unstatistik des Monats“
Gemeinsam mit dem Bochumer Ökonomen Thomas Bauer (RWI für Wirtschaftsforschung) und dem Dortmunder Statistiker Walter Krämer (TU Dortmund) hat der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, im Jahr 2012 die Aktion "Unstatistik des Monats" ins Leben gerufen. Ziel der Maßnahme ist es, monatlich sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen zu hinterfragen. Die Aktion will so dazu beitragen, mit statistischen Daten vernünftig umzugehen, in Zahlen gefasste Abbilder der Wirklichkeit korrekt zu deuten und eine immer komplexere Welt und Umwelt sinnvoll und allgemein verständlich zu beschreiben.
* Corrigendum vom 11. April 2013: Statt "einer Erwerbsarbeit nachgehen" muss es heißen: "Erwerbsbeteiligte sind".