Das sind wir: Anna Thoma
Die Psychologin Anna Thoma vom Forschungsbereich Adaptive Rationalität erforscht, wie Kinder verschiedene Entscheidungsstrategien erlernen. Für ihre Arbeit wurde sie mit der Otto-Hahn-Medaille 2024 ausgezeichnet. Im Interview gewährt sie Einblick in ihre Arbeit und erklärt, warum Kinder eher unwahrscheinlichere Lösungen für Probleme finden als Erwachsene. In unserem Format "Das sind wir" teilen Kolleg*innen Einblicke in ihre Arbeit und Motivation.
Du beschäftigst Dich im Forschungsbereich Adaptive Rationalität unter anderem mit der Frage, wie Kinder lernen, ökologisch rationale Entscheidungen zu treffen. Was fasziniert Dich an dem Thema?
Anna Thoma: Schon früh im Leben treffen wir bereits viele Entscheidungen: Welches Geschwisterkind leiht mir eher ein Spielzeug, wenn ich es darum bitte? Probiere ich eine neue Eissorte oder nehme ich die gleiche wie immer? In der Verhaltensökonomie hat sich über lange Zeit die Annahme gehalten, dass Kinder wie „naive“ Erwachsene Entscheidungen treffen. Das führt allerdings zu einem eher pessimistischen Bild von den Entscheidungsstrategien und Fähigkeiten, die Kinder bereits ab einem jungen Lebensalter anwenden können. Ökologische Rationalität—also das Zusammenspiel zwischen Entscheidungsverhalten und Umweltfaktoren—bringt da spannende neue Perspektiven ins Spiel: Die Interaktion zwischen fortlaufender Gehirnentwicklung und wachsender Erfahrung mit der Welt begünstigt bemerkenswerte Lernfähigkeiten im Kindesalter. Das Entscheidungsverhalten von Kindern unterstützt oftmals neue Lernerfahrungen, erschwert es aber gelegentlich den bestmöglichen Nutzen zu erzielen. Ich finde es sehr spannend zu erforschen, welche kognitiven und Umweltfaktoren (im besonderen „statistische“ Umweltfaktoren) es genau sind, die die Entwicklung von Entscheidungsstrategien prägen und es uns ermöglichen, bereits früh im Leben ökologisch rationale Entscheidungen zu treffen.
Was versteht man unter der „statistischen“ Umwelt und welchen Einfluss hat sie auf die Entwicklung von Entscheidungsstrategien eines Kindes?
Anna Thoma: Die statistische Umwelt beschreibt den statistischen Kontext einer Entscheidungs- oder Lernsituation, zum Beispiel, wie wahrscheinlich bestimmte Folgen oder Ergebnisse einer Entscheidung sind und ob es Muster in einer Abfolge von Ergebnissen gibt. Am besten erklärt man das an einem Beispiel: Stell dir vor, dass Eltern einem Kind Karotten als Snack anbieten. Das Kind hat aber gerade keine Lust auf Karotten und möchte lieber etwas anderes essen. Über viele solcher Situationen hinweg kann das Kind lernen, wie wahrscheinlich es einen anderen Snack bekommt und ob es bestimmte Muster gibt, die diese Wahrscheinlichkeit beeinflussen (z.B. erst jeder dritte Versuch ist erfolgreich). Um das Verhalten von Kindern in Experimenten zu erforschen, nutzen wir kindgerechte Spiele, die das erfahrungsbasierte Lernen von Wahrscheinlichkeiten ermöglichen. Zum Beispiel ein Ratespiel, hinter welchem von zwei Häusern sich als Nächstes ein Tier versteckt. Unsere Forschung zeigt, dass Kinder bereits ab drei Jahren solche Wahrscheinlichkeiten nutzen können, um Entscheidungen zu treffen und jüngere Kinder dabei besonders beharrlich sind (z.B. wählen sie immer wieder die gleiche Option aus). Ab dem Schulalter wechseln Kinder häufig zwischen verschiedenen Optionen und können damit leichter Zusammenhänge über Entscheidungen hinweg entdecken. Und das ist ein Punkt, in dem sich Kinder von Erwachsenen unterscheiden, Erwachsene erforschen weniger, was sie zwar effizienter in ihrem Entscheidungsprozess machen kann, aber was nicht nur Vorteile hat. Zum Beispiel können Kinder manchmal eher als Erwachsene eine unwahrscheinliche Lösung für eine Aufgabe oder ein unwahrscheinliches Muster finden, weil sie länger nach Informationen suchen.
Du wurdest für Deine Dissertation zu dieser Thematik mit der Otto-Hahn-Medaille ausgezeichnet. Wie bist Du zu diesem Forschungsthema gekommen?
Anna Thoma: Die Entscheidungsforschung fand ich schon während meines Studiums super spannend, aber wusste noch nicht, welches Forschungsthema mich genau interessiert. Damals habe ich bereits als wissenschaftliche Hilfskraft mit meiner späteren Promotionsbetreuerin, Christin Schulze, zusammengearbeitet. Die Fragestellung, wie ökologisch rationale Entscheidungsstrategien im Kindesalter entstehen, ist in Zusammenarbeit mit ihr entstanden und auch bei der Weiterentwicklung der Themen hat sie mich immer unterstützt. Da meine Forschung an der Schnittstelle zwischen der kognitiven Psychologie und der Entwicklungspsychologie liegt, habe ich neben der Expertise meiner Kolleg*innen vom Forschungsbereich Adaptive Rationalität auch sehr davon profitiert, als Doktorandin in die International Max Planck Research School on the Lifecourse (IMPRS LIFE) eingebunden zu sein.
Was interessiert Dich besonders an der Arbeit mit Kindern?
Anna Thoma: Studien mit Kindern erfordern sehr viel Planung, aber auch Kreativität im Studiendesign. Wohingegen Erwachsene auch recht eintönige Experimente problemlos durchführen können, würde das mit Kindern nicht gut funktionieren. Experimente für Kinder müssen interessant sein, Spaß machen und sollten am besten nicht allzu lange dauern. Ich schätze das direkte und ehrliche Feedback von Kindern in meinen Experimenten sehr - – so lernt man selbst nie aus und bekommt ein besseres Verständnis für den Denkprozess, den Kinder in der Aufgabe durchlaufen.
Was hilft Dir dabei Dich außerhalb Deiner Forschung zu entspannen?
Anna Thoma: In Berlin wird einem zum Glück nie langweilig – von unzähligen Restaurants, die entdeckt werden wollen, über Segeln auf deinem der vielen Seen, bis zum Longboarden auf dem Tempelhofer Feld. Am liebsten draußen!
Was schätzt Du an der Max-Planck-Community?
Anna Thoma: Die Expertise und das Interesse meiner Kolleg*innen für unterschiedlichste Fragestellungen motiviert mich in meinem Forschungsalltag. Es fehlt nie an Sparring- Partner*innen, um eine Idee zu diskutieren oder um neue Methode zu testen. Ich halte es für ein großes Privileg an einem Ort zu arbeiten, an dem weniger der fachliche Hintergrund einer Person zählt, als deren Fähigkeit sich in ein spezielles Themengebiet einzuarbeiten und eine neue Perspektive mit an den Tisch zu bringen.