Das sind wir: Max Jack
Der Ethnologe Max Jack beschäftigt sich mit sozialen Bewegungen und subkulturellen Gruppen. Im Interview spricht er unter anderem über sein jüngstes Buch Insurgent Fandom, das sich mit Ultras befasst – leidenschaftlichen Fußballfans, die ihre Vereine unterstützen, indem sie alle Heim- und Auswärtsspiele besuchen. Er sieht sie aber auch als eine transnationale Bewegung, die sich gegen die Kommerzialisierung im Profisport wendet.
Du beschäftigst Dich im Forschungsbereich Geschichte der Gefühle unter anderem mit dem politischen Potenzial von Menschenmengen und subkulturellen Gruppen wie Punks oder Hausbesetzern. Was fasziniert Dich an dem Thema?
Max Jack: Ich finde eine ganze Reihe von Subkulturen von Ultras über Punks bis hin zu Hausbesetzern interessant, weil sie sich alternative Lebenswelten zu ihren unbefriedigenden modernen Bedingungen schaffen. Ich finde dieses „Do-It-Yourself“-Ethos in unserer aktuellen politischen Situation besonders relevant, da es eine wachsende Entfremdung von der traditionellen Politik und zunehmende Unterstützung für populistische und autokratische Führer weltweit gibt. Sowohl Ultras als auch Hausbesetzer versuchen, inmitten ihrer Enttäuschung über die heutige Gesellschaft, die ihnen und ihren Bedürfnissen nach einem erfüllten Leben nicht gerecht wird, ihre eigenen Lösungen zu finden. Am Beispiel der Ultras (Hardcore-Fußballfans) habe ich von meinen Kontakten aus dieser Szene erfahren, dass Menschenmengen als „temporäre autonome Zonen“ genutzt werden können –Orte mit eigenen Regeln, Emotionen und einer eigenen politischen Logik – etwas, das sich radikal von den alltäglichen und entfremdenden Erfahrungen unterscheidet. Ich untersuche also Menschen, die versuchen, ihre eigenen Alternativen im Hier und Jetzt zu schaffen – und nicht darauf warten, dass die Politik oder die Regierung ihr Leben für sie verbessert.
In Deinem Buch, welches vor kurzem veröffentlicht wurde, befasst Du Dich mit der Ultra-Bewegung im Sport, insbesondere im Fußball, Basketball und Eishockey. Was waren Deine wichtigsten Erkenntnisse?
Max Jack: In meiner Ethnografie Insurgent Fandom untersuche ich, warum die engagiertesten Anhänger ihrer jeweiligen Sportvereine, die so genannten Ultras, bei einigen der aufsehenerregendsten Aufstände des 21. Jahrhunderts, darunter in Kairo, der Türkei und der Ukraine eine so bedeutende Rolle gespielt haben. Um zu verstehen, wie Ultras zu Schlüsselakteuren in solchen Momenten des politischen Aufstands werden können, ist es notwendig, sie nicht als Hooligans zu betrachten (mit denen sie oft verwechselt werden), sondern als eine transnationale soziale Bewegung, die sich sowohl gegen den Kapitalismus im Profisport als auch gegen den Staat wendet, der oft gewaltsam versucht, ihre Aktivitäten im öffentlichen Raum zu kontrollieren und einzuschränken.
Wenn ich mein Buch zusammenfassen müsste, würde mein Hauptargument lauten, dass Menschenmengen im Kontext des Fußballs eine radikalisierende Wirkung auf diejenigen haben, die Teil von ihnen sind. Das liegt daran, dass sie eine ganz andere Art der Sozialisierung unter Fremden ermöglichen und eine alternative Perspektive auf die Welt bieten. Obwohl das abstrakt klingen mag, spürt man deutlich die Auswirkungen dieser intensiven emotionalen Umgebungen. Der zweite Teil meines Arguments ist, dass der Staat die Lage verschlimmert, wenn er versucht, die Ultras im und außerhalb des Stadions zu unterdrücken. Die Ultras lernen dadurch, dass der Staat ihr Feind ist. Die Polizei schafft also größtenteils die "Staatsfeinde", die sie bekämpfen will, selbst. Durch den bloßen Akt der Polizeipräsenz werden die Ultras abgehärtet, sozial ausgegrenzt und für aufständische politische Aktionen vorbereitet.
Ich beschreibe Stadien als Brutstätten für radikale Politik über das gesamte politische Spektrum hinweg, teilweise aufgrund der andauernden Feindseligkeiten zwischen Ultras und dem Staat, aber auch aufgrund der Entfremdung der Hardcore-Fans von der Hyper-Kommerzialisierung und dem Konsumdenken im modernen Profisport.
Was unterscheidet die Ultra-Bewegung von anderen Bewegungen wie Extinction Rebellion oder Die Letzte Generation, zu denen Du ebenfalls geforscht hast?
Max Jack: Ein wichtiger Unterschied ist, dass die breite Öffentlichkeit Ultras nicht unbedingt als explizit „politische“ Akteure wahrnimmt. Hier kommt meine Aufgabe als Ethnograph ins Spiel – die Gesellschaftskritik der Ultras für ein Publikum von Außenstehenden verständlich zu machen, die möglicherweise nicht verstehen, wer sie sind oder was sie zu erreichen versuchen. Im Fall der Klimaaktivisten – ob man mit ihnen übereinstimmt oder nicht – wird ihre Kritik zumindest als politisch anerkannt. Die Ansichten der Ultras über die Gesellschaft werden von den Medien und der Populärkultur oft nicht verstanden.
Im Großen und Ganzen halte ich Ultras auch für militanter, da sie den Staat im Allgemeinen als feindlich betrachten. Im Gegensatz dazu stehen Aktivistengruppen wie Extinction Rebellion dem gegenwärtigen politischen System zwar kritisch gegenüber, wollen es aber radikal reformieren und nicht komplett niederreißen, um eine gerechtere Welt zu schaffen. Sie setzen auf zivilen Ungehorsam, weil sie ihn als entscheidenden Hebel zur Verbesserung der bestehenden Demokratie betrachten. Trotz dieser Unterschiede gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Ultras und Klimaaktivisten: Beide teilen den Wunsch nach einer radikal anderen Gesellschaft als der, in der wir leben, und ergreifen Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Ich denke, die akademische Welt kann von diesen Gruppen lernen. Während Forschende in den Geistes- und Sozialwissenschaften in ihren Schriften viel politische Kritik äußern, sehe ich sehr viel Händeringen, aber nicht genug konkrete Anstrengung, um politische Veränderungen herbeizuführen.
Wann hast Du festgestellt, dass Du in die Wissenschaft gehen möchtest, und was würdest Du Deinem jüngeren Ich zu Beginn der wissenschaftlichen Karriere raten?
Max Jack: Das mag sich nach meiner letzten Antwort auf den ersten Blick widersprüchlich klingen, aber persönlich wurde ich von der politischen Philosophie inspiriert, die mich lehrte, darüber nachzudenken, wie Macht funktioniert, und darüber hinaus grundlegende Fragen über Gerechtigkeit und Gleichheit in einer Welt zu stellen, die oft ungleich und undemokratisch ist – zumindest meiner Meinung nach. Meine Heimatdisziplinen der Ethnomusikologie und der Kulturanthropologie haben durchaus auch politische Untertöne, welche durch meine Forschung in diesen Bereichen einen greifbaren und realen Einfluss auf mich hatten. Nachdem ich mich mit den Ideen anderer inspirierender Denker auseinandergesetzt hatte, fühlte ich mich dazu befähigt, in der realen Welt ethischer zu handeln, mit dem Ziel anderen keinen Schaden zuzufügen und mich für die Verbesserung der Gesellschaft einzusetzen, deren Teil ich bin. Natürlich ist dieses Ideal etwas, das immer im Umbau begriffen ist – es ist ein fortlaufender Prozess der Selbstreflexion und Verbesserung. Die Wissenschaft ermöglicht es mir, diese grundlegenden sozialen Fragen zu untersuchen und zu versuchen, auf eine kleine Art und Weise einen positiven Einfluss auf die Leser auszuüben – ihre Sichtweise auf die Welt zu verändern und sie zu inspirieren, Ungerechtigkeiten zu erkennen, damit sie sich in der Gesellschaft so moralisch wie möglich bewegen können.
Du wirst das Institut bald verlassen, um eine neue Stelle als Gastprofessor im Department of Folklore and Ethnomusicology an der Indiana University anzutreten. Was wirst Du aus Deiner Zeit am Institut mitnehmen?
Max Jack: Ich schätze die Verbindungen zu meinen Kollegen hier, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigen. Ich hatte auch die Gelegenheit, an Projekten und Themen zusammenzuarbeiten, die wir gemeinsam spannend fanden, sodass diese Beziehungen für mich entscheidend waren. Es gab viel Solidarität in der Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Wissenschaftlern, daher war es im Allgemeinen eine sehr erfüllende Erfahrung, jeden Tag zur Arbeit zu kommen. Jeder Job hat seine Vor- und Nachteile, aber die Arbeit hier war im Grunde mein Traumjob. Ich hatte das Gefühl, hier in der Major League Baseball zu spielen, aber natürlich in einem akademischen Kontext. Ich entlarve mich jetzt vermutlich als Nordamerikaner, indem ich mein Interview mit einer Baseball-Metapher beende!