Das sind wir: Marwa Kavelaars
Die Wissenschaftlerin Marwa Kavelaars ist Biologin und hat sich auf die Erforschung von Tierverhalten und Bewegungsökologie spezialisiert. Am Forschungsbereich Adaptive Rationalität kann sie ihre Forschungsinteressen auf menschliches Entscheidungsverhalten ausweiten. Im Interview berichtet sie von ihrer Arbeit mit finnischen Eisfischer*innen, um menschliches Nahrungssuchverhalten zu untersuchen. In diesem Format "Das sind wir" teilen Kolleg*innen Einblicke in ihre Arbeit und Motivation.
Du beschäftigst Dich am Forschungsbereich Adaptive Rationalität unter anderem mit menschlichem Nahrungssuchverhalten. Was fasziniert Dich an diesem Thema?
Marwa Kavelaars: Für mich als Biologin ist es am spannendsten Tiere, oder momentan Menschen, in ihrer realen Umgebung zu beobachten. Bevor ich an das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung kam, habe ich mich hauptsächlich mit dem Verhalten von Vögeln beschäftigt. Mit kleinen GPS-Trackern untersuchte ich die Bewegungsmuster von Vögeln, wobei ich mich besonders auf ihr Verhalten bei der Nahrungssuche konzentrierte. Während meiner Postdoc-Phase am Forschungsbereich Adaptive Rationalität verfolge ich einen ähnlichen Ansatz, aber jetzt untersuche ich die menschliche Nahrungssuche, wodurch ich etwas tiefer in die Thematik eintauchen kann. Das ist ein gutes Beispiel, um menschliches Denken zu verstehen. So kann ich sehen, wie Menschen Entscheidungen außerhalb des Labors treffen. Ich interessiere mich dafür, wie Menschen verschiedene Informationen nutzen und zusammenfügen, wenn sie Entscheidungen treffen. Dazu gehören frühere Informationen über die Umgebung, neue Informationen, die sie durch Beobachtung sammeln, und soziale Informationen von anderen Menschen.
Du warst in Finnland, um Daten für Deine aktuelle Forschung zu sammeln. Könntest Du uns ein wenig mehr darüber erzählen?
Marwa Kavelaars: In meinem Projekt konzentriere ich mich auf Eisfischer*innen in Finnland. Das Eisfischen ist eine menschliche Nahrungsbeschaffung, die vor Tausenden von Jahren begann, und obwohl es nicht mehr zur Ernährung genutzt wird, ist es eine kulturelle Tradition in den nördlichen Regionen der Welt. Die Menschen streifen in ihrer Freizeit nicht nur auf den zugefrorenen Seen umher, sondern liefern sich auch im großen Stil ernsthafte Wettkämpfe. Diese Veranstaltungen ermöglichten die Entwicklung eines Versuchsaufbaus, in dem sich erfahrene Eisfischer*innen in ihrer natürlichen Umgebung frei bewegen können, während wir verschiedene soziale Umgebungen schaffen können, um zu sehen, ob die Entscheidungen bei der Nahrungssuche in konkurrierenden und kooperativen Gruppen unterschiedlich getroffen werden. Gleichzeitig können wir über Smartwatches (wohin gehen sie?) und Kopfkameras (was machen sie?) jede Bewegung im Detail verfolgen.
Wie sah Dein Tagesablauf aus?
Marwa Kavelaars: Während der Feldarbeit wohnten wir in einer kleinen Hütte an einem der Seen in der Nähe von Joensuu. Für die Wettbewerbe mussten wir jeden Tag zu verschiedenen Seen fahren. Im Allgemeinen waren die Bedingungen nicht allzu schlecht, aber manchmal musste die Straße von unserer Hütte zur Hauptstraße geräumt werden, damit wir nicht im Schnee stecken bleiben. Deshalb versuchten wir, früh loszufahren und kamen gegen 8:00 Uhr am Wettkampfsee an. Wenn die Teilnehmenden ankamen, mussten sie zunächst Einverständniserklärungen und Umfragen ausfüllen. Dann statteten wir sie mit Kopfkameras und Smartwatches aus, und nach einer kurzen Einweisung durch unseren finnischen Mitarbeiter begannen die Wettbewerbe. Wenn sie zurückkamen, wogen wir ihre Fische und gaben die Gewinner bekannt. Zurück in der Kabine mussten wir alle Daten von den Smartwatches und Kameras herunterladen und alles für den nächsten Tag vorbereiten. Wenn wir noch etwas Energie hatten, machte einer von uns das Feuer für die Sauna, damit wir uns nach einem langen Tag draußen aufwärmen und entspannen konnten. Und dann ging es auch schon wieder ins Bett.
Welche Erfahrungen hast Du mit nach Hause genommen?
Marwa Kavelaars: Ich fand es sehr besonders für ein paar Wochen Teil dieser finnischen Gemeinschaft zu sein. Es ist eine ziemlich enge Gemeinschaft; die meisten dieser Eisfischer*innen kennen sich schon seit Jahrzehnten. Unser Forschungsteam unter der Leitung von Ralf Kurvers organisiert nun schon seit einigen Jahren Wettbewerbe, und die Eisfischer*innen scheinen wirklich Spaß daran zu haben und kommen jedes Jahr wieder. Morgens kommt sogar ein Mann, der Köder verkauft, und nachmittags gibt es einen Essensstand mit Hotdogs, Kaffee oder heißer Schokolade. Auch wenn wir nicht die Sprache des Anderen sprechen, sind wir doch langsam miteinander vertraut geworden. Manchmal frage ich mich, ob sie es nicht ein bisschen komisch finden, dass wir (als internationales Team) diese Wettbewerbe für unsere Forschung organisieren. Aber ich habe das Gefühl, dass sie es zu schätzen wissen, dass wir diese Tätigkeit, die so tief in ihrer Kultur verwurzelt ist, so genau untersuchen.
Wann hast Du festgestellt, dass Du in die Wissenschaft gehen möchtest und was würdest Du Deinem jüngeren Ich zu Beginn der wissenschaftlichen Karriere raten?
Marwa Kavelaars: Seit ich ein Kind war, habe ich gerne Zeit draußen verbracht. Ich habe immer Tiere beobachtet und versucht ihr Verhalten zu verstehen. Diese Neugierde hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, was mich zur Wissenschaft brachte. Und ich genieße es immer noch jeden Tag, dass es zu meinem Job gehört, neue Dinge zu lernen.
Meinem jüngeren Ich würde ich raten, aktiv nach Mentor*innen oder Vorbildern zu suchen, mit denen ich mich identifizieren kann. Ich denke, dass die Wissenschaft von mehr Vielfalt profitieren würde, und ich bin froh, dass es Möglichkeiten wie diese 'This is us'-Interviewreihe gibt, um Frauen in der Wissenschaft sichtbarer zu machen, damit die nächste Generation weiß, dass es auch für sie einen Platz in der akademischen Welt gibt.
Was schätzt Du an der Max-Planck-Community?
Marwa Kavelaars: Ich denke, es ist ein sehr inspirierendes und intellektuell anregendes Umfeld. Was ich am meisten genieße seit ich am Institut bin, ist das unglaublich kollaborative Umfeld. Ich arbeite mit Biolog*innen, Psycholog*innen, Anthropolog*innen, Kognitionswissenschaftler*innen und so weiter zusammen. Ich denke, dass das Zusammenbringen von Forschenden mit unterschiedlichem Hintergrund und die Vielfalt an Fachwissen eine Synergie schafft, die den Projekten, die wir durchführen, eine tiefere Ebene verleiht.
Marwa ist kürzlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für das Walter-Benjamin-Programm ausgewählt worden. Sie wird das Studium der Eisfischer in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität zu Berlin fortsetzen, um genauer zu untersuchen, wie der soziale Kontext menschliche Entscheidungen beeinflusst.