Der Nutzen aktiven Lernens und sein Potenzial für bessere Bildung
Das positive Image des aktiven Lernens ist im Bildungswesen weit verbreitet. Seit mehr als einem halben Jahrhundert entwerfen Bildungstheorien ein sich ständig wandelndes Bild davon, was aktives Lernen bedeutet, und wo seine Vorteile gegenüber dem passiven, angeleiteten Lernen liegen.
Das Konzept des aktiven Lernens umfasst eine große Bandbreite unterschiedlicher Unterrichtstechniken, die sich größtenteils aus einer Kombination der folgenden Merkmale zusammensetzt: eine gesteigerte körperliche Aktivität oder Interaktion, tiefere kognitive Verarbeitung, präzise und ausführliche Erklärungen zum verwendeten Material, die genaue Planung von Lernaktivitäten, Fragenstellen, metakognitive Kontrolle und soziale Kollaboration.
Das Resultat dieser Vielseitigkeit von Ansätzen ist, dass es zunehmend schwierig wird, diejenigen kausalen Faktoren zu identifizieren, die zu Unterschieden im Lernerfolg beim aktiven Lernen führen, und vorherzusagen, ob diese Effekte auf andere Aktivitäten oder Materialien übertragbar sind (Markant, Ruggeri, Gureckis, & Xu, 2016). Es bedarf daher intensiver Forschung, um herauszuarbeiten, welche Arten selbstgesteuerten Handelns in bestimmten Lernumgebungen von Vorteil sind und inwiefern dieser Nutzen auf die zugrundeliegenden kognitiven Prozesse und allgemeinen Faktoren in der Entwicklung zurückzuführen ist.
Eines unserer Projekte zum Thema Aktives Lernen: ALM (Active Learning in Memory)
In der Studie ALM (Aktives Lernen und Gedächtnis) untersuchten wir, ob willentliche Kontrolle über die Präsentation von Stimuli bei fünf- bis achtjährigen Kindern zu einer verbesserten Wiedererkennungsleistung führt. Wir ließen Kinder ein einfaches Gedächtnis-Spiel auf dem iPad spielen: Den Kindern wurde die Aufgabe gestellt, sich vier Sets mit jeweils 16 Bildern einzuprägen. Während der Lernphase bestimmten die Kinder für zwei der Sets (insgesamt 32 Objekte) selbst die Reihenfolge und Geschwindigkeit der Stimulus-Darbietung (aktive Bedingung). In diesen aktiven Blöcken hatten die Kinder 90 Sekunden Zeit, um sich die Objekte anzuschauen und einzuprägen. Das Einprägen der Objekte fand durch einmalige Berührung der verdeckten Objekte an korrespondierender Stelle des Bildschirms statt. Auf die Berührung folgte für eine Dauer von 500 ms eine rote Umrahmung und anschließende die Aufdeckung des Objektes.
Zum Einprägen der anderen beiden Sets (ebenfalls 32 Objekte) betrachteten die Kinder die Objekte, die zuvor in gleicher Art im aktiven Lernprozess von anderen Kindern gewählt wurden (yoked control‒Bedingung). In jedem dieser Blöcke sahen die Kinder ein 90-sekündiges Video der Lernphase eines anderen Kindes unter aktiver Lernbedingung und der von ihm erlernten Objekte und erhielten die Aufgabe, sich diese Objekte ebenfalls einzuprägen.
Auf diese Lernphase folgte die Testphase, die aus 8 Blöcken bestand. In jedem Testblock wurden äquivalent zur Lernphase 16 Objekte präsentiert. Unter den gezeigten Objekten der insgesamt 8 Testblöcke befanden sich 64 bekannte Objekte, die vorher gelernt wurden, und 64 unbekannte Objekte, die bisher noch nicht präsentiert wurden. In jedem Block sollten die Kinder angeben, an welche der Objekte aus der Lernphase sie sich erinnern und welche der Objekte neu sind.
In dieser Studie konnten wir erfolgreich demonstrieren, dass Kinder unter aktiven Lernbedingungen eine bessere Wiedererkennungsleistung als unter der yoked control-Bedingung – also bei einer Beobachtung aktiven Lernens einer anderen Person ‒ zeigen. Die Vorteile aktiven Lernens für die Gedächtnisleistung konnten auch nach einer Woche noch nachgewiesen werden. Unsere Forschungsergebnisse unterstützen pädagogische Ansätze, die selbstbestimmtes Lernen betonen, und zeigen, dass selbst jüngere Kinder von einer individuellen Gestaltung des Lernprozesses profitieren.
Aktuelle und zukünftige Projekte
Die Erkenntnisse aus Studien zum aktiven Lernen können die Bildungspraxis, die sich zunehmend am Modell des fragenbasierten Lernens orientiert, grundlegend verändern. Eine besondere Bedeutung trägt dabei ein erweitertes Verständnis davon, wie Kinder lernen. Zusätzlich zum Was des Lerninhalts auch das Wie des Lernens zu verstehen, ermöglicht es uns, Schulkinder mit einem flexiblen Werkzeugkasten aus Heuristiken und Lernstrategien auszustatten, mit deren Hilfe sie sich Wissen erfolgreich aneignen können.