Das sind wir: Chi (Zoe) Ngo
Die Entwicklungspsychologin Zoe Ngo erforscht die Gedächtnisentwicklung von Kindern. Im Interview erklärt sie, was die Arbeit mit Kindern so besonders macht und wie sie ihre Experimente durch einen Gamification-Ansatz für die Kleinen ansprechend gestaltet. In unserem Format „Das sind wir“ geben Kolleginnen und Kollegen Einblick in ihre Arbeit und Motivation.
Eines Deiner Forschungsthemen am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie ist die Entwicklung des Gedächtnisses bei Kindern im Alter von 4 bis 8 Jahren. Was fasziniert Dich daran?
Zoe Ngo: Bei der Gedächtnisentwicklung geht es um ein altes Rätsel, das wir alle teilen, nämlich dass einige Formen des frühen Gedächtnisses dauerhaft sind, andere dagegen nicht. Säuglinge und Kleinkinder sind sehr gut darin, die Regelmäßigkeiten ihrer Umgebung zu lernen. Sie sammeln und behalten ein beeindruckendes Wissen über ihre Umwelt. Im Gegensatz dazu sind sie im gleichen Alter nicht so gut darin, sich dauerhaft an bestimmte Ereignisse zu erinnern, wie zum Beispiel einen Familienausflug an den Strand. Mich fasziniert, wie Kinder die notwendigen Bausteine entwickeln, um beides zu beherrschen: das Allgemeine über Ereignisse hinweg und das Besondere innerhalb eines einzelnen Ereignisses. Außerdem fasziniert mich die Beziehung zwischen der Reifung des Gehirns und dem Wachstum der verschiedenen Gedächtnisfähigkeiten. Gedächtnismodelle haben konkrete Vorhersagen darüber gemacht, welche Hirnregionen an welchen Gedächtnisprozessen beteiligt sein sollten. Wir wissen aber noch nicht, wie ihre Reifungsraten mit dem Gedächtniswachstum in der frühen Entwicklung zusammenhängen.
Kannst Du genauer erklären, wie Kinder die Fähigkeit entwickeln, sich an spezifische Ereignisse aus ihrer Vergangenheit zu erinnern, und wie sie aus diesen Erfahrungen allgemeines Wissen aufbauen?
Zoe Ngo: Gedächtnismodelle gehen davon aus, dass das Gehirn eine Reihe von sich ergänzenden Prozessen durchführt, die uns helfen, uns sowohl an das Besondere zu erinnern als auch das Allgemeine unserer Umgebung zu lernen. Der Hippocampus hilft uns, ganze Ereignisse anhand eines kleinen Hinweises zu erinnern (Mustervervollständigung) und hält ähnliche Ereignisse getrennt, um Verwechslungen zu vermeiden (Mustertrennung). Im Zusammenspiel mit dem medialen präfrontalen Kortex hilft der Hippocampus, wiederkehrende Muster aus unseren Erfahrungen zu extrahieren, um ein allgemeines Wissen aufzubauen, das auf neue Situationen angewendet werden kann.
Diese Hirnregionen durchlaufen in der Kindheit einen längeren Entwicklungsprozess. In der frühen Kindheit entwickelt sich die Mustertrennung im Alter zwischen 4 und 6 Jahren sehr schnell. So verwechseln 4-jährige Kinder häufig ähnliche Ereignisse, aber diese Art von Fehlern nimmt im Alter von 6 Jahren drastisch ab. In der späten Kindheit und Jugend verbessert sich jedoch die Fähigkeit der Kinder, zwischen ähnlichen Ereignissen zu unterscheiden. Mit zunehmendem Alter können sich Kinder immer besser an Dinge erinnern, die in der Vergangenheit zusammen aufgetreten sind. Die Verallgemeinerung entwickelt sich früher, denn wir sehen, dass bereits Säuglinge und Kleinkinder in der Lage sind, Objektkategorien zu bilden und einen beeindruckenden Wortschatz aufzubauen.
Was ist das Besondere daran, mit Kindern zu arbeiten?
Zoe Ngo: Die Arbeit mit Kindern ist unglaublich spannend, aber auch herausfordernd. Im Bereich der kognitiven Entwicklung ist es wichtig, sorgfältig zu überlegen, wie wir kognitive Konstrukte definieren und messen, während wir unsere Verhaltensbeurteilungen an das Alter unserer jungen Teilnehmer*innen anpassen. Wenn wir z.B. das Gedächtnis von Kindern testen, müssen wir sicherstellen, dass das Material ansprechend ist, z.B. durch Cartoons oder animierte Videos. Außerdem müssen die Konzepte den Kindern vertraut sein.
Die richtige Balance zwischen der Entwicklung altersgerechter Aufgaben und der Vermeidung von Störfaktoren bei der Messung ist entscheidend, um valide und aussagekräftige Daten von Kindern zu erhalten. Außerdem ist es wichtig, die Anweisungen in einer Sprache zu geben, die Kinder leicht verstehen können – eine spezialisierte Fähigkeit, die Entwicklungspsycholog*innen durch Training erwerben. Ich finde diese Herausforderung sehr bereichernd.
Welche Methoden verwendest Du?
Zoe Ngo: Wir verwenden eine Kombination aus Verhaltens- und Neuroimaging-Techniken. Beim Neuroimaging verwenden wir sowohl MRT, um die Struktur der Gehirne der Kinder zu kartieren, als auch EEG, um zu untersuchen, wie die Schlafphysiologie bei verschiedenen Gedächtnisfunktionen eine Rolle spielt.
Du verwendest einen Gamification-Ansatz, um Deine Experimente zu gestalten. Was verstehen wir darunter?
Zoe Ngo: Der Kern unseres Gaming-Ansatzes besteht darin, Gedächtnisaufgaben in fesselnde, spielähnliche Szenarien einzubetten, die wir „Cover Stories” nennen. Diese Geschichten schaffen eine fesselnde Erzählung, die das Interesse der Kinder weckt und sie während des gesamten Experiments motiviert.
Beispielsweise verwenden wir in unserer COMIC-Studie eine Geschichte, in der die Kinder auf eine Mission geschickt werden, um Fabelwesen in einem Wald zu retten. Um diese Mission zu erfüllen, müssen sie Edelsteine sammeln, indem sie an verschiedenen Mini-Missionen teilnehmen. Jede Mini-Mission enthält eine Gedächtnisaufgabe, die als lustige Herausforderung getarnt ist.
Welche Auswirkungen erwartest Du von Deinen Erkenntnissen auf zukünftige Bildungspraktiken oder Erziehungsstrategien?
Zoe Ngo: Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse Aufschluss darüber geben, wie sich Kinder desselben Alters in Bezug auf ihre Gedächtnisfähigkeiten in einem bestimmten Alter voneinander unterscheiden können und wie schnell sich eine bestimmte Gedächtnisfähigkeit im Laufe der Zeit entwickelt. Das Verständnis der interindividuellen Unterschiede kann uns Aufschluss darüber geben, inwieweit Lernen und Gedächtnis bei verschiedenen Kindern desselben Alters unterschiedlich sein können.
Das Verständnis der komplexen Beziehung zwischen verschiedenen Gedächtnisfähigkeiten und wie diese Beziehung im Laufe der Kindheit variieren kann, wird uns helfen, die Stärke eines Kindes bei der Unterstützung anderer, weniger robuster Gedächtnisfähigkeiten zu nutzen.
Wann hast Du Dich dazu entschieden, Wissenschaftlerin zu werden? Wie bist Du zu diesem Forschungsfeld gekommen?
Zoe Ngo: Ich beschloss 2009, Wissenschaftlerin zu werden, als ich einen Kurs in Kognitiver Psychologie bei Dr. Seth Chin-Parker an der Denison University belegte. Ich fand das Thema faszinierend und fragte Dr. Chin-Parker, ob ich als Forschungsassistentin in seinem Labor arbeiten könnte. Schnell fand ich meine Berufung in der kognitiven Forschung und entschied mich, einen Master in experimenteller Psychologie zu machen. Während meines Studiums einen effektiven und einfühlsamen Mentor wie Seth zu haben, war der Beginn meines Weges zu dem spannenden Forschungsprogramm, an dem ich heute arbeite.
Du wurdest mit dem einem Fellowship der Jacobs Stiftung ausgezeichnet, das in diesem Jahr endet. Was sind Deine Pläne für die Zukunft?
Zoe Ngo: Im Jahr 2025 werde ich eine unabhängige Emmy Noether-Gruppe hier an unserem Institut leiten. In dieser sechsjährigen Förderperiode wird sich mein Labor weiterhin auf die neuronalen Grundlagen der Gedächtnisentwicklung in der frühen Kindheit konzentrieren. Es wird zwei Hauptbereiche geben, die wir ausbauen werden: Erstens werden wir versuchen zu verstehen, wie sich die im Labor gemessenen Entwicklungsveränderungen der Gedächtnisfähigkeiten auf die realen Gedächtnisfähigkeiten der Kinder übertragen lassen. Zweitens werden wir die Muster der Hirnaktivierung während des Abrufs von Erinnerungen an aktuelle und weit zurückliegende persönliche Lebensereignisse bei Kindern im Alter von 4 bis 10 Jahren untersuchen.
Was schätzt Du an der Max-Planck-Gemeinschaft?
Zoe Ngo: Am meisten schätze ich an der Max-Planck-Gemeinschaft die bemerkenswerte Bandbreite an Expertise der hier tätigen Wissenschaftler*innen. Außerdem schätze ich die Kollegialität und die intellektuelle Bescheidenheit, die in unserer Gemeinschaft herrschen.