Protektive Verhaltensstrategien

Dieses Forschungsgebiet untersucht, inwiefern Kinder Verhaltensstrategien besitzen, um die von Pflanzen ausgehenden Gefahren zu vermeiden. Pflanzen weisen vielfältige Eigenschaften auf, um sich vor Pflanzenfressern zu schützen. Dazu zählen pflanzenspezifische Gifte und Gebilde wie Dornen und brennende Härchen, die Feinde abwehren sollen. Diese Abwehrmechanismen gehen für den Menschen mit der Gefahr einer Vergiftung oder physischen Verletzung einher, wobei das Risiko nur bei direktem Kontakt oder Verzehr besteht. Folglich kann die Vermeidung von physischem Kontakt eine einfache Verhaltensstrategie sein, um potentielle Gefahren effektiv abzuwenden.

Selbst schöne und appetitlich aussehende Pflanzen können fatale gesundheitliche Schäden zur Folge haben, sodass die beste Verhaltensstrategie die Vermeidung physischen Kontakts mit jeder unbekannten Pflanze ist, bis man zusätzliche Informationen über diese erlangt. Daher haben wir angenommen, dass Kinder eher zögern, Pflanzen im Gegensatz zu anderen Objekten zu berühren, solange sie keine Informationen von Erwachsenen erhalten.

THYMIAN ZUM ANFASSEN

In der ersten Studie haben wir zur Untersuchung dieser Annahme Kindern im Alter von 8 bis 18 Monaten eine Reihe verschiedener Objekte präsentiert (Wertz & Wynn, 2014b). Dabei handelte es sich um echte und echt aussehende künstliche Pflanzen, bekannte und unbekannte, von Menschen erzeugte Objekte sowie andere in der Natur vorkommende Gegenstände. Wie zuvor angenommen, verzögerte sich die Greifbewegung der Kinder bei echten und künstlichen Pflanzen im Vergleich zu den Artefakten und natürlichen Gegenständen. Weitergehende Analysen zeigten, dass diese Zurückhaltung explizit den präsentierten Pflanzen galt und nicht durch Eigenschaften wie Farbe, Form oder Geruch der Stimuli im Allgemeinen hervorgerufen wurde. Diese Ergebnisse stellten den ersten empirischen Beweis für eine pflanzenspezifische Vermeidungsstrategie im Verhalten von Kleinkindern dar. Erhielten die Kinder keine sozialen Informationen von Erwachsenen, dauerte es bis zur Ausführung der Greifbewegung und anschließenden Berührung länger. Diese Strategie verringert den physischen Kontakt mit Pflanzen und schützt vor potentiellen Gefahren, die von ihnen ausgehen.

KEINE ROSE OHNE DORNEN

Auch schön aussehende Pflanzen können giftig und somit auch lebensbedrohlich sein, daher sollte ein Vermeidungsverhalten gegenüber allen Pflanzen, unabhängig von ihrem Äußeren, zu beobachten sein. Jedoch geht von einigen Pflanzen eine offensichtlich erkennbare Gefahr aus (z.B. spitze Dornen oder Stacheln), während pflanzliche Gifte unsichtbar bleiben. Dieses Forschungsprojekt untersucht, ob das Vermeidungsverhalten von Kindern gegenüber Pflanzen durch die Präsenz visuell wahrnehmbarer Gefahren, wie zum Beispiel Dornen, beeinflusst wird. Wir haben Kleinkindern Pflanzen, unbekannte Artefakte mit pflanzenähnlichen Merkmalen sowie Alltagsgegenstände präsentiert. Die Hälfte dieser Stimuli war mit dornenähnlichen Elementen versehen. Die ersten Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Kinder im Alter von 8 bis 18 Monaten im Vergleich zu den anderen Objekten mehr Zeit benötigen, bis sie Pflanzen anfassen, unabhängig davon, ob diese Dornen haben oder nicht. Dies bestätigten unsere zuvor beobachteten Ergebnisse. Weiterhin war die Zeitdauer der Berührung nach dem ersten physischen Kontakt mit den Pflanzen kürzer als bei den bekannten und unbekannten Artefakten. Kleinkinder fassten die dornigen Elemente der Pflanzen seltener an als die dornigen und nicht dornigen Elemente der anderen Objekte. Derzeit stattfindende Studien prüfen zusätzlich den Effekt sozialer Informationen auf das beobachtete Vermeidungsverhalten bei der Berührung von Pflanzen.

DIE WURZELN DES SOZIALEN LERNENS

Wenn das Vermeidungsverhalten Kinder vor den Gefahren im Kontakt mit ihnen unbekannten Pflanzen schützen soll, sollten sie sich aktiv Informationen von anderen Personen suchen, um herauszufinden, ob die Berührung oder der Verzehr solcher Pflanzen sicher sind. Die Suche nach entsprechenden sozialen Informationen sollte zu beobachten sein, bevor die Kinder die Pflanzen berühren. Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass Kinder im Alter von 8 bis 18 Monaten bei Pflanzen im Vergleich zu anderen Objekten vermehrt nach sozialen Informationen suchen. Entsprechend unserer Annahme konnten wir beobachten, dass die Kinder, bevor sie eine Pflanze berührten, vermehrt nach sozialen Informationen suchten, wenn sich die Pflanzen in unmittelbarer Reichweite befanden. Der Zweck dieses Vermeidungsverhaltens, nämlich vor einer potentiellen Gefahr zu schützen, ist genau das, was in einer solchen Situation zu erwarten wäre. Weiterhin beobachteten wir erneut eine Verzögerung in der Greifbewegung, wenn Pflanzen präsentiert wurden, wobei die Häufigkeit, sich vor Berührung der Pflanzen bei der Bezugsperson rückzuversichern, nicht durch diese Verzögerung bedingt war. Der Unterschied in der Häufigkeit dieser sozialen Absicherung blieb auch bestehen, nachdem die Dauer bis zur ersten Berührung der Stimuli methodisch kontrolliert wurde. Das vermehrte Suchen nach sozialen Informationen als Teil einer Vermeidungsstrategie ermöglicht Kindern Informationen von anderen zu erhalten, bevor es zu einem physischen Kontakt mit der Pflanze kommt. Dies schafft optimale Voraussetzungen für spätere Lernprozesse.

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