Covid-19-Maßnahmen: Wie hart sollten sie sein?

Studie über die Wirksamkeit von Beschränkungen berücksichtigt Verhaltensänderungen der Bevölkerung

13. Februar 2023

Nach rund drei Jahren der Covid-19 Pandemie ringen sowohl politische Entscheidungsträger*innen als auch Bürger*innen immer noch um den richtigen Umgang mit dem Virus. Die Maßnahmen müssen effektiv, aber auch in Hinblick auf die damit verbundenen gesellschaftlichen Auswirkungen akzeptabel sein. Eine am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung durchgeführte Studie untersuchte die Wirksamkeit früher Covid-19-Maßnahmen, beispielsweise Lockdowns und anderen nicht-pharmazeutischen Interventionen. Die Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift BMC Public Health veröffentlicht wurden, können Aufschluss über die richtige Balance von Maßnahmen im Umgang mit künftigen Pandemien geben, insbesondere in der entscheidenden Anfangsphase, bevor Impfstoffe entwickelt sind.

„Pan metron ariston“ – alles mit Maß: Der Autor Leonidas Spiliopoulos vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung betitelt mit dieser griechischen Redewendung seine aktuelle Studie. Spiliopoulos untersuchte die Wirksamkeit von Lockdowns und anderen nicht-pharmazeutischen Interventionen (NPIs) auf die Eindämmung von Covid-19 und die Begrenzung der Todesfälle. Die Studie deckt zwei wichtige Faktoren auf, welche die Dynamik der Pandemie positiv beeinflusst haben: Erstens die freiwilligen Verhaltensänderungen der Menschen aufgrund der persönlichen Einschätzung des Schweregrads der Pandemie und der Signalwirkung politischer Entscheidungen. Zweitens der beeindruckende Erfolg umfassender Testmaßnahmen, die sowohl den Zuwachs von Covid-19-Infektionen als auch die damit verbundenen Todesfälle deutlich reduziert haben und zwar ohne die mit vielen NPIs verbundenen, negativen sozialen Auswirkungen.

Spiliopoulos analysierte Daten aus 132 Ländern, die zwischen dem 15. Februar 2020 und dem 14. April 2021 erhoben wurden. Der Datensatz enthält Informationen über bestätigte Krankheits- und Todesfälle, Mobilitätsdaten, Testraten und den Covid-19 Stringency Index. Dieser von der Universität Oxford entwickelte Index misst die Härte verschiedener NPIs – darunter Schulschließungen, häuslicher Quarantäne, Absage oder Einschränkung von öffentlichen Veranstaltungen, internationale Reisebeschränkungen und Informationskampagnen – in einem einzigen Maß, um Vergleiche zwischen den Ländern zu erleichtern. Die Skala reicht von 0 (überhaupt keine Einschränkungen) bis 100 (extremste Einschränkungen).

Mäßig harte Maßnahmen mit einem Stringency Index im Bereich von 31 – 40 machten etwa 90 Prozent der maximalen Wirksamkeit der NPIs aus. „In diesem Bereich lagen die positiven Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die aktuelle Pandemiedynamik nahe am praktisch erreichbaren Maximum, während die Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit sowie die wirtschaftlichen Kosten minimiert wurden“, so Spiliopoulos. Dazu zählten Beschränkungen für öffentliche Versammlungen von mehr als 100 Personen, Quarantänevorschriften für Reisende aus Hochrisikogebieten, öffentliche Informationskampagnen, Empfehlungen, wie die, von zuhause aus zu arbeiten, die Absage von Veranstaltungen und Schulschließungen. Die Studie hebt zudem die Bedeutung umfangreicher Tests hervor, mit denen 50 Prozent der Wirkung optimaler NPIs erreicht werden können, ohne dass es zu erheblichen negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft kommt. „Im Hinblick auf eine Neuausrichtung des Policy-Mix für künftige Pandemien sollten wir in Erwägung ziehen, stärker auf frühzeitige umfassende Tests und gezielte öffentliche Kampagnen zu setzen, die Menschen dabei helfen, ihr Verhalten bezüglich der Pandemie freiwillig zu ändern“, so Spiliopoulos.

Überraschenderweise zeigt die Studie auch, dass sich Mobilitätseinschränkungen nicht wie erwartet positiv ausgewirkt hatten. Zwei mögliche Erklärungen stützen diese Beobachtung. So könnte einerseits die Verbreitung des Virus außerhalb der Wohnung verringert, die Ansteckung innerhalb der Wohnung allerdings erleichtert worden sein, da Familien oder Mitbewohner mehr Zeit miteinander verbrachten. Andererseits könnten Verhaltensänderungen (wie beispielsweise soziale Distanzierung, Tragen von Masken, Umstieg auf alternative, sicherere Verkehrsmittel) möglicherweise wirksam genug gewesen sein, sodass die Menschen weiterhin zur Arbeit pendeln und in begrenztem Umfang mit anderen in Kontakt kommen konnten, ohne dass es zu einer signifikanten Zunahme der Übertragung kam. Die Studie unterstreicht die Komplexität des Themas und die Notwendigkeit, Hypothesen über die Auswirkungen politischer Maßnahmen empirisch zu testen. Auch wird deutlich, wie wichtig es ist, Ergebnisse vorheriger Studien auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, sobald weitere Daten zur Verfügung stehen.

„Diese Analyse erlaubt es uns, zuverlässigere Schlussfolgerungen zu ziehen im Vergleich zu zahlreichen früheren Studien, da die Daten über einen längeren Zeitraum und in einer Vielzahl von Ländern erhoben wurden“, sagt Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Mitglied des Expertengremiums, das die deutsche Regierung zur Covid-19-Pandemie berät. „Zu Beginn der Pandemie war die Unsicherheit bezüglich der Übertragung und Sterblichkeit von Covid-19 groß. Vor diesem Hintergrund entschieden sich viele Länder zunächst für eine relativ restriktive Politik“, sagt er. Die Ergebnisse der Studie können für die öffentliche Politik von Nutzen sein, insbesondere im Hinblick darauf, wie künftige Pandemien mit ähnlichen Fall- und Todesraten in der kritischen Phase vor der Entwicklung und Einführung von Impfstoffen bewältigt werden können.

Lesen Sie mehr: Studienautor Leonidas Spiliopoulos beantwortet hier Fragen zu seiner Studie. 

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