„Das sind wir“ – Fragen an Marwa El Zein
Unser Institut hat über 300 Mitarbeitende. Doch das ist nur eine Zahl. Wer sind die Menschen an unserem Institut? Womit beschäftigen sie sich und was treibt sie an? In unserem Format „Das sind wir“ beantworten Kolleg*innen Fragen zu ihrer Arbeit und ihrer Motivation.
Anlässlich des internationalen Frauentags am 8. März 2023 haben wir die Reihe "Das sind wir" mit 15 Wissenschaftlerinnen unseres Instituts gestartet. Wir knüpfen daran an und stellen die Wissenschaftlerin Marwa El Zein aus dem Forschungsbereich Adaptive Rationalität vor. Im vorigen Artikel von „Das sind wir“ wurde Anika Löwe aus der MPFG NeuroCode vorgestellt.
Du beschäftigst Dich am Forschungsbereich für Adaptive Rationalität unter anderem mit Gruppendynamiken und die Mechanismen kollektiver Entscheidungsfindung. Was fasziniert Dich an diesem Thema?
Gruppenentscheidungen sind allgegenwärtig und kommen in unserem täglichen Leben, mit Familie und Freunden, am Arbeitsplatz und auf gesellschaftlicher Ebene bei gemeinschaftsbezogenen und politischen Angelegenheiten vor. Was mich an diesem Thema fasziniert, ist seine breite Anwendbarkeit auf eine Reihe gesellschaftlicher Fragen, die unser Verhalten in verschiedenen Kontexten erklären. Ich bin optimistisch, was den positiven Einfluss von Gruppenverhalten innerhalb der Gesellschaft betrifft und betone daher immer wieder die Vorteile gesellschaftlicher Zusammenarbeit. Das Verständnis der Mechanismen hinter Gruppenentscheidungen und -dynamik ist von entscheidender Bedeutung. Dieses Wissen ermöglicht es uns, die Gesellschaft zu vorteilhaftem Gruppenverhalten anzuleiten und so das Wohlbefinden des Einzelnen und der Gruppe, Fairness, Zusammenarbeit und eine bessere Entscheidungsfindung zu fördern.
Du hattest kürzlich einen Forschungsaufenthalt in Paris. Was hast Du dort erforscht?
In meiner aktuellen Forschung untersuche ich, wie sich Gefühle der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, beispielsweise einer Sportsmannschaft oder dem eigenen Land, auf unser kollektives Entscheidungsverhalten auswirken. Im Rahmen meines Forschungsaufenthaltes an einem politischen Forschungszentrum in Paris (CEVIPOF, Sciences Po) habe ich über mögliche Anwendungen dieser Forschung auf politische Verhaltensweisen nachgedacht, wie z. B. Wahlverhalten und Nachrichtenkonsum innerhalb sozialer Blasen. Der Austausch mit Forschenden aus der Politikwissenschaft hat meine Perspektive bereichert und mir interdisziplinäre Einblicke in meine Arbeit ermöglicht. Darüber hinaus unterrichte ich an der Sciences Po School of Public Affairs einen Masterkurs über Verhaltenserkenntnisse und politisches Verhalten, der aufzeigt, wie Erkenntnisse aus der Kognitions- und Verhaltenswissenschaft zur öffentlichen Politik beitragen können.
Du verlässt das MPIB. Was wirst Du als Nächstes tun? Wirst Du im wissenschaftlichen Tätigkeitsbereich bleiben?
Mit meinem Ausscheiden aus dem MPIB endet meine 11-jährige akademische Laufbahn, einschließlich meiner Promotion. Wie bereits erwähnt, habe ich zu Themen mit hoher gesellschaftlicher Relevanz geforscht. Nach jahrelangem Nachdenken und Abwägen meines Karrierewegs habe ich beschlossen, meinem Wunsch nachzugehen, mich in der angewandten Forschung zu engagieren und eine Aufgabe zu übernehmen, die einen direkteren Einfluss auf gesellschaftliche Fragen ermöglicht. Ich werde eine Stelle als Senior Research Consultant im Bereich Kognitions- und Verhaltenswissenschaften bei einem Unternehmen in Paris antreten. In dieser Tätigkeit möchte ich mich mit Verhaltensänderungen in verschiedenen Bereichen wie Arbeit, Bildung, Gesundheit und dem öffentlichen Sektor beschäftigen. Ich hoffe, dass ich durch meine ständige Zusammenarbeit mit der Forschungsgemeinschaft die Verbindung zur akademischen Welt aufrechterhalten kann, sodass ich über die neuesten Forschungsergebnisse auf dem Laufenden bleibe, während ich mit Menschen aus der Praxis zusammenarbeite.
Wann hast Du festgestellt, dass Du in die Wissenschaft gehen möchtest und was würdest Du Deinem jüngeren Ich zu Beginn der wissenschaftlichen Karriere raten?
Seit meiner Schulzeit fühle ich mich zur Wissenschaft hingezogen, wobei mich zunächst die Genetik faszinierte. Das brachte mich dazu, einen Bachelor-Abschluss in Biologie zu machen. Während meines Studiums stieß ich auf die Neurowissenschaften, ein Gebiet, das mir in meinem Heimatland Libanon nicht vertraut war. Dadurch wurde meine Leidenschaft für die Hirnforschung geweckt, was mich dazu veranlasste, mich in die Literatur zu vertiefen und Konferenzen zu besuchen. Später absolvierte ich einen Master in Kognitionswissenschaften, und es wurde deutlich, dass mein wahres Interesse der sozialen Kognition galt – dem Verständnis des Menschen in seinem sozialen Umfeld.
Wenn ich zurückblicke, würde ich mein jüngeres Ich immer noch ermutigen, denselben Weg einzuschlagen, denn die Arbeit in der Wissenschaft ist unglaublich erfüllend. Sie lehrt Selbstständigkeit und vermittelt jeden Tag neue Fähigkeiten, was eine kontinuierliche Lernerfahrung darstellt. Allerdings würde ich meinem jüngeren Ich raten, offener für angewandte Forschung und Möglichkeiten außerhalb der akademischen Welt zu sein und diese zu erkunden. Eine Ausbildung in dieser Richtung kann eine bewusste Entscheidung sein und nicht nur eine Reaktion auf den akademischen Wettbewerb. Außerdem würde ich empfehlen, sich zwischen den Arbeitserfahrungen mehr Zeit zu nehmen, um über die berufliche Laufbahn nachzudenken.
Was schätzt Du an der Max-Planck Community?
Das Max-Planck-Institut bot den Kontakt zu einer Gemeinschaft exzellenter, interdisziplinärer Forschenden. Es gab regelmäßig wissenschaftliche Vorträge von verschiedenen Gruppen, die meine Erfahrungen bereicherten. Das Umfeld war auch sehr reichhaltig und bot eine Vielzahl von Methoden und Unterstützung, um unsere Forschung so angemessen wie möglich durchzuführen. Ich hoffe, dass ich mit dieser Gemeinschaft in Kontakt bleiben kann.