„Sich für Open Science einzusetzen, lohnt sich”
Stefan Appelhoff wurde mit dem Innovationspreis für offene Forschung 2024 für seine Arbeit am Datenstandard BIDS (Brain Imaging Data Structure) ausgezeichnet. In seinem Plädoyer teilt er seine Erfahrungen mit Open Science-Initiativen und unterstreicht die Bedeutung des Engagements für die offene Wissenschaft.
Kommt dir das Szenario bekannt vor? Du bekommst einen Datensatz aus einem vorherigen Projekt, erkennst das darin schlummernde Potenzial, nur um festzustellen, dass die Daten unorganisiert, unvollständig und schwer zu verstehen sind. Dies geschieht häufig, weil die ursprünglichen Datensammler möglicherweise weitergezogen sind oder ihre Arbeit nicht ausreichend dokumentiert haben. Datenstandards helfen hier, indem sie ein einheitliches Format bereitstellen, das die Verständlichkeit, Wiederverwendbarkeit und Verwaltbarkeit der Daten fördert.
Die Verwendung von Standards, wie BIDS (Brain Imaging Data Structure), kann dir immense Zeitersparnisse bringen. Anstatt Stunden damit zu verbringen, die Besonderheiten jedes neuen Datensatzes zu entziffern, musst du den Standard nur einmal erlernen. Danach werden das Verstehen und Organisieren der Daten wesentlich einfacher. Diese Standardisierung bedeutet nicht nur eine persönliche Zeitersparnis, sondern auch eine für dein gesamte Team. Gut dokumentierte und konsistente Daten minimieren Fehlerquellen und lassen weniger Raum für falsche Annahmen.
Standardisierte Datenstrukturen erleichtern auch die Entwicklung von Analysesoftware. Ohne Standards erfordert jeder Datensatz individuelle Anpassungen am Softwarecode. Mit einem einheitlichen Format wird die anfängliche Datenvorbereitung vereinfacht und es können automatisierte Tools entwickelt werden, um die Datenqualität zu überprüfen. Ein herausragendes Beispiel ist fMRIprep, ein Tool zur Vorverarbeitung von fMRI-Daten, das durch Standardisierung der Datenvorbereitung die Notwendigkeit verringert hat, das Rad jedes Mal neu zu erfinden.
Meine Erfahrungen mit BIDS
Der Standard BIDS, der von Chris Grogolewski und Kolleg*innen im Jahr 2016 eingeführt wurde, finde ich in diesem Zusammenhang besonders erwähnenswert. Dieser ist ein gemeinschaftlich entwickelter Datenstandard, der ursprünglich für die Organisation und Beschreibung von MRT-Daten entwickelt wurde. BIDS ist darauf ausgelegt, 80 Prozent der Anwendungsfälle effizient zu bedienen, wobei anerkannt wird, dass es die verbleibenden 20 Prozent möglicherweise nicht vollständig abdecken kann. Das Ziel ist jedoch, so viele Datensätze wie möglich abzudecken, um eine maximale Adaptierbarkeit zu erreichen.
Während meiner Promotion beschäftigte ich mich intensiv mit BIDS. Ich arbeitete mit EEG-Daten und beteiligte mich aktiv an Diskussionen zur Erweiterung von BIDS, um EEG-Daten einzubeziehen. Trotz anfänglicher Zweifel entschied ich mich, meine Gedanken und Erfahrungen einzubringen. Zu meiner Überraschung wurden meine Beiträge, auch von renommierten Forschenden, positiv aufgenommen, und ich wurde schließlich Moderator für die BIDS-EEG-Erweiterung. Diese Erfahrung hat mich stark motiviert.
Gute Gründe für Open Science
Zu Open-Science- und Open-Source-Projekten beizutragen, war für mich unglaublich bereichernd: Durch die gemeinsame Nutzung gut dokumentierter Daten und Tools tragen wir zur Weiterentwicklung der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft bei. Andere können auf unserer Arbeit aufbauen und die Wissenschaft vorantreiben. Zudem ist es befriedigend zu sehen, wie andere von dem profitieren, was man beigetragen hat – sei es eine Software oder eine fundierte Fragestellung in einem Forum. Darüber hinaus hat mich die Arbeit an offenen Projekten mit talentierten Menschen in Kontakt gebracht und mir wertvolle Fähigkeiten wie Remote-Teamarbeit und Projektmanagement vermittelt. Das Veröffentlichen eigener Arbeit kann einschüchternd sein, bietet aber wertvolles Feedback zur Verbesserung der eigenen Forschungsqualität.
Ich ermutige jeden, sich für Open Science einzusetzen und keine falsche Bescheidenheit an den Tag zu legen. Deine Beiträge können wertvoll sei – egal ob kleinere Korrekturen oder umfassendere Beiträge. Es ist wichtig, aktiv am Austausch teilzunehmen und deine Perspektive einzubringen. Die Unterstützung von Vorgesetzten und Kolleg*innen ist entscheidend. Ich hatte das Glück, während meiner Promotion von Ralph Hertwig unterstützt zu werden, der mir ermöglichte, an dem dreimonatigen “Google Summer of Code” teilzunehmen. Auch Bernhard Spitzer, mein Betreuer, gewährte mir Freiheiten.
Für jeden, der an Open Science-Projekten interessiert ist, empfehle ich, Git als Versionskontrollsystem zu erlernen und sich durch Sommerkurse und Online-Communities weiterzubilden.
Beiträge zu Open-Science- und Open-Source-Projekten machen es für mich lohnend Wissenschaftler zu sein. Es geht nicht nur darum, die Wissenschaft voranzutreiben, sondern auch darum, eine Gemeinschaft aufzubauen, neue Fähigkeiten zu erlernen und einen spürbaren Einfluss zu haben. Statt Wissenschaftler nur an ihren Publikationen zu messen, sollten wir auch ihren Beitrag zu Open-Science-Projekten würdigen.
Autor: Stefan Appelhoff
Stefan Appelhoff ist Postdoc in der ERC-geförderten Forschungsgruppe Adaptive Gedächtnis- und Entscheidungsprozesse. Der Neurowissenschaftler beschäftigt mit der Entscheidungsfindung beim Menschen, z.B. wie Menschen nach Informationen suchen, bevor sie eine wertbasierte Entscheidung treffen. Daneben legt einen Schwerpunkt auf die Entwicklung von Open Source-Software und Datenstandards. Für sein Engagement hat der den Innovationspreis für offene Forschung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung erhalten.
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