Das “Exploration-Selection-Refinement (ESR)“-Modell

Vorstellung des ESR-Modells und seiner Bedeutung für die Erforschung der menschlichen Entwicklung über die Lebensspanne

27. Oktober 2020

Lindenberger, U., & Lövdén, M. (2019). Brain plasticity in human lifespan development: The exploration-selection-refinement model. Annual Review of Developmental Psychology, 1, 197–222. https://doi.org/10.1146/annurev-devpsych-121318-085229

Plastizität kann als die Fähigkeit des Gehirns definiert werden, bleibende strukturelle Änderungen zu erreichen in Antwort auf Umweltanforderungen, die nicht vollständig durch die gegenwärtige funktionelle Kapazität eines Organismus gemeistert werden können. Plastizität wird ausgelöst, wenn Erfahrungen mit genetischen Programmen bei der Reifung von spezies-übergreifenden Funktionen (z.B. des visuellen Systems) interagieren; sie wird aber auch für weniger universelle Formen des Lernens benötigt, die Individuen zu einzigartigen Mitgliedern ihrer Spezies formen. Deshalb ist die Darstellung der Regulationsmechanismen der Plastizität für das Verständnis menschlicher Entwicklung entscheidend. Bisher sind die Plastizitätsmechanismen im menschlichen Gehirn und ihre Beziehungen zu individuellen Unterschieden des Lernens und der Entwicklung über die Lebensspanne nicht gut erforscht. Auf der Grundlage von Tiermodellen, Entwicklungstheorien und Konzepten des Verstärkungslernens stellen wir das „Exploration–Selection–Refinement (ESR)“-Modell der menschlichen Hirnplastizität vor. Diesem Modell nach werden diejenigen neuronale Mikroschaltkreise, die potenziell in der Lage sind, für die Ausführung einer Aufgabe benötigte Berechnungen durchzuführen, schon früh während des Lernens vielseitig erprobt und dadurch strukturell verändert. Dieser Explorationsphase folgen Phasen der erfahrungsabhängigen Selektion und Verfeinerung der verstärkten Mikroschaltkreise und eine damit einhergehende allmähliche Elimination von neuen Strukturen, die mit nichtselektierten Verschaltungen assoziiert sind. Das ESR-Modell macht mehrere Vorhersagen, die beim Menschen überprüft werden können, und hat Auswirkungen auf die Untersuchung individueller Unterschiede in der Entwicklung über die Lebensspanne.

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