„Das sind wir“ – Fragen an Anika Löwe

6. Dezember 2023

Unser Institut hat über 300 Mitarbeitende. Doch das ist nur eine Zahl. Wer sind die Menschen an unserem Institut? Womit beschäftigen sie sich und was treibt sie an? In unserem Format „Das sind wir“ beantworten Kolleg*innen Fragen zu ihrer Arbeit und ihrer Motivation.

Anlässlich des internationalen Frauentags am 8. März 2023 haben wir die Reihe "Das sind wir" mit 15 Wissenschaftlerinnen unseres Instituts gestartet. Wir knüpfen daran an und stellen die Wissenschaftlerin Anika Löwe aus MPFG NeuroCode vor. Im vorigen Artikel von „Das sind wir“ wurde Sonja Sudimac aus der  Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften vorgestellt.

Du beschäftigst Dich in der MPFG NeuroCode unter anderem mit den sogenannten „Aha-Momente” und den Faktoren, die diese auslösen. Was fasziniert Dich an dem Thema? 

Ich finde besonders faszinierend an „Aha-Momenten”, dass wir meist die kognitiven Prozesse, die zu ihnen führen, nicht zurückverfolgen können – die neue Lösung oder Verbindung scheint ganz plötzlich, wie durch Magie, in unser Bewusstsein zu springen. Zudem fasziniert mich die Frage, welche Faktoren dazu führen, dass unser Gehirn plötzlich anfängt Informationen aufzunehmen oder umzustrukturieren, die oft schon lange präsent waren, aber durch Aufmerksamkeitsprozesse ausgeblendet wurden. Welche Faktoren dazu führen, dass unser Fokus unterbrochen wird, sodass ein „Aha-Moment” auftreten kann, ist ein Hauptinteresse meiner Forschung. 

Inwiefern lassen sich diese „Aha-Momente” auch in Maschinen hervorrufen? Was bedeutet das in Bezug auf den Menschen? 

Wir haben neuronale Netzwerke trainiert, dieselbe Entscheidungsaufgabe auszuführen, die wir für das Erforschen von „Aha-Momenten” in Menschen verwenden. In dieser Aufgabe gibt es eine versteckte Strategie, mithilfe derer die Aufgabe viel effizienter und einfacher ausgeführt werden kann, wenn Menschen einen „Aha-Moment” bezüglich dieser Strategie haben. Maschinen haben natürlich keinen bewussten „Aha-Moment”, aber weisen alle Verhaltensmerkmale auf, die wir bei Menschen beobachten: die Wechsel zur versteckten Strategie passieren sehr plötzlich, nur ein Teil bemerkt die versteckte Strategie (sowohl bei Menschen als auch bei Netzwerken ca. 50 %) und der Zeitpunkt, wo der „Aha-Moment” auftritt, variiert zu gleichem Maße bei Menschen und Netzwerken. Dies impliziert, dass Aha-Momente vielleicht kein so einzigartiges, „magisches” Phänomen darstellen, sondern eine besondere Art des Lernens, welche auch in sehr simplen Systemen ohne spezifisches Bewusstsein darüber auftreten kann. 
Des Weiteren können wir in den Maschinen die Parameter von Netzwerken, die „Aha-Moment” ähnliches Verhalten aufweisen, genauer untersuchen und Rückschlüsse darauf ziehen, was zu ihnen geführt hat. Wir haben herausgefunden, dass eine Kombination von drei Faktoren zu „Aha-Momenten” bei Netzwerken führt: 1) „schlafendes Wissen” zu der versteckten Strategie, bevor diese relevant wird, 2) neuronales Rauschen, das wir zu jedem Update des Netzwerks hinzufügen, sowie 3) die Regularisierung bestimmter Netzwerkgewichte, was einen Aufmerksamkeitsprozess simuliert. Diese Erkenntnis wiederum generiert interessante Hypothesen für mögliche Mechanismen von „Aha-Momenten” bei Menschen. 

Welchen Einfluss könnte Schlaf auf diese „Aha-Momente” haben? 

Schlaf spielt eine potenziell interessante Rolle bei „Aha-Momenten”, da Informationsumstrukturierungen und Gedächtniskonsolidierung im Schlaf stattfinden. Besonders die erste Schlafphase des Zyklus, N1-Schlaf, könnte hierbei besonders wichtig sein, da die hypnagogischen Erfahrungen während dieser Schlafphase als verstärkte Variante des Gedankenschweifens gelten. Die physiologischen Charakteristika von N1-Schlaf könnten dazu führen, dass neue Ideen generiert werden, während logische Inferenzfähigkeiten noch präserviert werden. 
Dies erforsche ich momentan in Zusammenarbeit mit Marit Petzka, Postdoc in unserer Gruppe, indem wir dieselbe oben beschriebene „Aha-Moment” Aufgabe verwenden, aber Proband*innen nach der Hälfte der Aufgabe einen Mittagsschlaf machen lassen. Die Schlafphasen bestimmen wir mithilfe von EEG-Messungen und erforschen, ob „Aha-Momente” nach (N1-)Schlaf häufiger auftreten. 

Woher nimmst Du Deine Forschungsideen? 

Mein Supervisor, Nico Schuck, hat vor einigen Jahren interessante MRT-Ergebnisse zu „Aha-Momenten” berichtet. Diese haben mich inspiriert die Faktoren hinter „Aha-Momenten” genauer zu erforschen. Die Frage, ob ein graduelles Lernsystem, welches ein neuronales Netzwerk darstellt, „Aha-Moment” ähnliches Verhalten zeigen kann, entstand aus Gesprächen mit Forschern der Universität Oxford, was zu einer wunderbaren Kollaboration und einem Forschungsaufenthalt für mich am Gatsby Center der UCL geführt hat. Generell finde ich an „Aha-Momenten” wahnsinnig spannend und motivierend, dass jeder sie kennt und erlebt hat, jedoch noch so wenig über ihre Entstehung bekannt ist. 

Vor welchen Herausforderungen stehst Du als Wissenschaftlerin? 

Es ist kein Geheimnis, dass Wissenschaftlerinnen auch heute noch stark benachteiligt sind und sich oft viel stärker und auf ganz andere Weise behaupten müssen als ihre männlichen Kollegen. Besonders in den mathematischeren Teilen der Neurowissenschaften, in denen ich mich bewege, verändert sich das Verhältnis ganz drastisch. Besonders nach dem PhD verlassen viele Forscherinnen die Akademie, was unter anderem an den schwierigen Bedingungen für Familiengründung liegt, unter denen Forscherinnen wesentlich stärker leiden. Allerdings gibt es viele Verbesserungsmöglichkeiten für Forscherinnen, für die wir uns alle gemeinsam einsetzen sollten. 

Was schätzt Du an der Max-Planck Community? 

Ich schätze mich sehr glücklich, an einem Max-Planck-Institut Doktorandin sein zu können. Der Austausch zwischen verschiedenen Gruppen und Instituten, aber auch die internationalen Verbindungen sind besonders und sehr förderlich für den gemeinsamen wissenschaftlichen Fortschritt. Zudem habe ich stets sehr großen Support und sämtliche Mittel für meine Forschung erhalten, die ich ganz nach meinen individuellen Wünschen gestalten und ausführen konnte. Man fühlt sich Teil eines großen Netzwerks, an dem wahnsinnig inspirierende Personen beteiligt sind. 

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