„Das sind wir“ – Fragen an Anne-Marie Nussberger

31. Januar 2024

Unser Institut hat über 300 Mitarbeitende. Doch das ist nur eine Zahl. Wer sind die Menschen an unserem Institut? Womit beschäftigen sie sich und was treibt sie an? In unserem Format „Das sind wir“ beantworten Kolleg*innen Fragen zu ihrer Arbeit und ihrer Motivation.

Anlässlich des internationalen Frauentags am 8. März 2023 haben wir die Reihe "Das sind wir" mit 15 Wissenschaftlerinnen unseres Instituts gestartet. Wir knüpfen daran an und stellen die Wissenschaftlerin Anne-Marie Nussberger aus dem Forschungsbereich Mensch und Maschine vor. Im vorigen Artikel von „Das sind wir“ wurde Marwa El Zein aus dem Forschungsbereich Adaptive Rationalität vorgestellt.

Du beschäftigst Dich im Forschungsbereich Mensch und Maschine unter anderem mit der Interaktion von Mensch und Maschine unter Berücksichtigung verschiedener Ansätze aus den Bereichen Sozialpsychologie, der Verhaltensökonomie und der kulturellen Evolution. Was fasziniert Dich an dem Thema?  

Vor allem, dass "das Thema" so facettenreich ist und dass es schon jetzt – in Zukunft aber noch mehr – für unser aller alltägliches Leben relevant ist. Zum Beispiel erforschen wir, inwiefern sich "klassische" Befunde zu menschlichem Entscheidungsverhalten auf intelligente Maschinen übertragen lassen; sei es hinsichtlich des Entscheidungsverhaltens dieser Maschinen, oder hinsichtlich menschlicher Entscheidungen mit Bezug auf diese Maschinen. Aus kultur-evolutionärer Perspektive versuchen wir dann zu antizipieren, wie Mensch-Maschine-Interaktionen das Entscheidungsverhalten beiderseits nachhaltig beeinflussen und verändern könnten. Ganz konkret beschäftige ich mich beispielsweise mit Fragen wie: Können intelligente Maschinen (z. B. GPT) genauso überzeugende Entschuldigungen generieren, wie Menschen? Macht es für Menschen einen Unterschied, ob eine Entschuldigung von einer Maschine oder von einem Menschen generiert ist – und wenn ja, inwiefern und warum? Könnte dies mittelfristig zu einer Umbewertung von Entschuldigungen führen (zum Beispiel zu einer Entwertung)?  

Die beiden ersten Fragen knüpfen unmittelbar an existierende Befunde aus der Sozialpsychologie, Soziologie und Verhaltensökonomie an; die letzte Frage zielt auf kultur-evolutionäre Implikationen ab.   

Was ist kulturelle Evolution und welchen Einfluss hat KI auf sie? (oder könnte in Zukunft haben?)  

Im Wesentlichen verstehen wir unter kultureller Evolution einen dynamischen Prozess, der die soziale Übertragung und Entwicklung von Wertevorstellungen, Traditionen und Wissen beschreibt. Tatsächlich ist gerade eine Veröffentlichung erschienen, in der wir “Machine Culture” skizzieren: Wie intelligente Maschinen kulturelle Evolution beeinflussen oder erzeugen können. Schon jetzt gibt es Beispiele, in denen etwa Maschinen die Vielfalt kultureller Information verändern. Zum Beispiel im jahrtausendalten Strategiespiel Go, in dem die KI AlphaGo den amtierenden Weltmeister Lee Sedol im Jahr 2016 mit einem (aus menschlicher Perspektive) sehr unkonventionellen Spielzug entthront hat. Seitdem ist das Go-Spiel menschlicher Spieler messbar vielfältiger geworden – es werden mehr Züge gespielt, die seit Aufzeichnung professioneller Go Turniere noch nie beobachtet wurden. Wir gehen außerdem davon aus, dass Maschinen zunehmend die Übermittlung kultureller Information beeinflussen werden, zum Beispiel durch große Sprachmodelle wie GPT. Und schon jetzt ist ersichtlich, dass Maschinen (mit)bestimmen, welcher Information und welchen Informationsquellen wir in der digitalen Welt der sozialen Netzwerke und Onlinemedien ausgesetzt sind. Wir antizipieren, dass der Einfluss von Maschinen über diese drei grundlegenden Dimensionen der kulturellen Evolution hinweg – also Variation, Übertragung, und Auswahl kultureller Information – deren Fortschreibung fundamental beeinflussen wird.  

Wann hast Du Dich entschieden, Wissenschaftlerin zu werden? Wie hast Du dich für dieses Studienfach entschieden? 

In meinem Fall war dies kein allzu gradliniger Weg; aber etwas, das mich schon früh umgetrieben hat, war, das menschliche (Entscheidungs-) Verhalten zu verstehen und wie es im Zusammenspiel gesellschaftliche Realitäten definiert. Mit dem Studiengang European Studies in Maastricht habe ich quasi zuerst bei den gesellschaftlichen Realitäten angesetzt; allerdings habe ich nach einem halben Jahr gemerkt, dass der Studiengang für mich persönlich viel zu breit angesetzt war. Also habe ich beschlossen, mich von der anderen Seite – dem menschlichen Entscheiden und Verhalten – anzunähern und Psychologie zu studieren. Der Psychologie Studiengang in Heidelberg war mir dann aber wiederum zu eng und zu stark auf klinische Aspekte fokussiert, also habe ich dazu noch VWL studiert. Der Schnittbereich, die "Verhaltensökonomik", hat es mir dann angetan und hat mich motiviert, mit einem forschungsorientierten Masterprogramm tiefer in die Wissenschaft einzusteigen. Über meine Master- und Promotionszeit hinweg habe ich mich dann mit sozialen Entscheidungen befasst und mit Ende der Promotionszeit den Definitionsbereich des „Sozialen“ um Mensch-Maschine Interaktionen erweitert. Mich begeistert, dass ich als Wissenschaftlerin meinen leidenschaftlichen Interessen nachgehen kann und dass meine Arbeit so vielfältig ist: von theoretischen Grübeleien, über kreative Phasen der Entwicklung experimenteller Paradigmen und flow-ähnliche Zustände bei der Datenanalyse, bis zur Verschriftlichung unserer Erkenntnisse für Fachzeitschriften und die Vermittlung an die breitere Öffentlichkeit. Auch wenn das Wissenschaftlerin-Sein seine Schattenseiten hat, bedeuten diese sonnigen Seiten für mich ein Privileg, für das ich dankbar bin.  

Welchen Herausforderungen musst Du Dich in Deinem Wissenschaftler-Sein stellen?  

Im Wesentlichen sind das die üblichen Herausforderungen, die sich aus befristeten Stellen und recht ungewissen Perspektiven – eben dem deutschen Wissenschaftssystem – ergeben. Die damit verbundene Unsicherheit erlebe ich seitdem wir unsere Kinder, die gerade 1 Jahr und 3 Jahre alt sind, als noch herausfordernder. Wir würden uns wünschen, irgendwo als Familie gemeinsam "Fuß zu fassen" – ohne Pendelei, ohne Umzug um Umzug. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt meiner Laufbahn, dem ersten Postdoc, aber nicht wirklich realistisch; und es wird noch weniger realistisch, falls mein Partner auch wieder in die Wissenschaft geht. Im aktuellen Alltag kann ich Familie und Beruf aber meistens gut vereinbaren, da unser Direktor Iyad Rahwan und meine Kollegen viel Verständnis für die variablen Bedürfnisse und manchmal kaum zu glaubenden Krankheitsketten einer Familie mit Kleinkindern haben.  

Was schätzt Du an der Max-Planck Community? 

Für mein Empfinden kommen hier unglaublich viele intrinsisch motivierte, vielseitige, kooperative Wissenschaftler*innen zusammen, die ein besonders stimulierendes Arbeitsumfeld kreieren. Die außergewöhnlich guten Rahmenbedingungen, unter denen wir arbeiten können, tragen sicherlich zu dieser Selektion bei; und auch dazu, dass wir uns stark auf unsere Forschung konzentrieren können. 

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