Bildung hat keinen Einfluss auf die Alterung des Gehirns

Verlaufsstudien aus verschiedenen europäischen Ländern widerlegen bisherige Annahme

5. Mai 2021

Entgegen der landläufigen Meinung zeigt eine neue Studie des EU-Konsortiums „Lifebrain“, dass mehr Bildung die Alterung des Gehirns nicht verlangsamt. Wissenschaftler*innen aus acht Ländern maßen das Hirnvolumen von mehr als 2.000 Studienteilnehmenden mithilfe der strukturellen Magnetresonanztomographie. Die Studie, an der auch Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung beteiligt waren, wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.

Menschliche Gehirne schrumpfen im Laufe des Erwachsenenalters. Die bisher vorherrschende Meinung in der Wissenschaft war, dass ein höherer Bildungsabschluss die Schrumpfung verlangsamt oder sogar aufhält. Allerdings war die Befundlage bislang nicht aussagekräftig, da die meisten Arbeiten zu diesem Thema nicht auf Verlaufsstudien basierten, bei denen dieselben Probanden über Jahre hinweg mehrfach untersucht werden.

Eine Studie des EU-Konsortiums „Lifebrain“, in dem Wissenschaftler*innen aus acht Ländern zusammenarbeiten, setzte nun hier an. Auf der Grundlage mehrerer groß angelegter Verlaufsstudien aus verschiedenen europäischen Ländern wurde untersucht, wie sich die Gehirne von Erwachsenen im Verlauf des Lebens verändern und ob Bildung dabei eine Rolle spielt. Mit Bildung meinten die Wissenschaftler*innen die Anzahl der Jahre, die die untersuchten Studienteilnehmenden in der Schule und direkt anschließend in weiterführenden Bildungseinrichtungen verbrachten.

Die Ergebnisse zeigten zwar einen positiven Zusammenhang zwischen dem Volumen einiger Bereiche des Gehirns und dem Ausmaß an Bildung. Jedoch nahm bei Erwachsenen, die höhere Bildungsabschlüsse erreicht hatten, das Hirnvolumen genau so sehr mit dem Alter ab wie bei Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass höhere Bildung die Gehirnalterung nicht verlangsamt“, sagt Lars Nyberg von der Universität Umeå in Schweden, Erstautor der Studie und Mitglied des Lifebrain-Konsortiums. „Zu bemerken ist auch, dass wir dieselbe Fragestellung an zwei verschiedenen Datensätzen, Lifebrain und UK-Biobank, bearbeitet haben, und dabei zu übereinstimmenden Ergebnissen gekommen sind“, ergänzt Nyberg. „Das gibt unseren Ergebnissen zusätzliches Gewicht“.

Die Forscher*innen maßen die Hirnalterung, indem sie das Volumen der Großhirnrinde und des Hippocampus bei mehr als 2.000 Studienteilnehmenden mithilfe der strukturellen Magnetresonanztomographie (MRT) vermaßen. Das Schrumpfen dieser beiden Bereiche des Gehirns ist Teil der normalen Alterung. Um die Veränderungen zu erfassen, wurden die Gehirne der Teilnehmenden über einen Zeitraum von bis zu elf Jahren bis zu dreimal hintereinander untersucht. Das Alter der Teilnehmenden reichte von 29 bis 91 Jahren.

Vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung waren Andreas Brandmaier, Maike Kleemeyer, Simone Kühn und Ulman Lindenberger an der Studie beteiligt. „Unsere Ergebnisse bedeuten nicht, dass Bildung unwichtig ist“, betont Ulman Lindenberger, Direktor des Forschungsbereichs „Entwicklungspsychologie“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. „Bildung ist mit vielen Vorteilen im Leben verbunden. Aber irgendwann fangen die Gehirne aller Erwachsenen an zu schrumpfen, und die Geschwindigkeit dieser Schrumpfung wurde nicht davon beeinflusst, wie viele Jahre man in der Schule verbracht hat“, so Ulman Lindenberger.

Originalstudie

Nyberg, L., Magnussen, F., Lundquist, A., Baare, W., Bartés-Faz, D., Bertram, L., Boraxbekk, C. J., Brandmaier, A. M., Drevon, C. A., Ebmeier, K., Ghisletta, P., Henson, R. N., Junqué, C., Kievit, R., Kleemeyer, M., Knights, E., Kühn, S., Lindenberger, U., Penninx, B. W. J. H., Pudas, S., Sørensen, Ø., Vaqué-Alcázar, L., Walhovd, K. B., & Fjell, A. M. (2021). Educational attainment does not influence brain aging. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 118(18), Article e2101644118. https://doi.org/10.1073/pnas.2101644118

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht