Kooperationen: Unter Freunden darf man auch mal vergessen

Fokussierte soziale Kontakte fördern kooperatives Verhalten

25. September 2018

Wie sehen soziale Netzwerke aus, in denen Kooperationen entstehen? Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der University of Nebraska-Lincoln konnten anhand einer spieltheoretischen Simulation zeigen, dass sich Kooperation eher in sozialen Netzwerken entwickeln, in denen Menschen ihre Interaktionen auf wenige andere Menschen fokussieren. Die Ergebnisse der Studie wurden im Journal Proceedings of the Royal Society of London B veröffentlicht.

Freunden helfen wir beim Umzug, für den Campingtrip leihen wir uns ein Zelt von einer Kollegin und wenn der Nachbar im Urlaub ist, gießen wir seine Blumen. Wir alle befinden uns in komplexen sozialen Netzwerken, in denen wir miteinander interagieren und im Idealfall kooperieren. Auch wenn unser Netzwerk im Schnitt aus 150 bis 200 Menschen besteht, interagieren wir nicht mit allen von ihnen gleich stark. Tatsächlich konzentrieren wir uns meist nur auf wenige, enge Kontakte. Diese für Menschen typische Netzwerkstruktur haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB) in Computersimulationen untersucht. Sie konnten zeigen, dass es sich positiv auf das Kooperationsverhalten in Netzwerken auswirkt, wenn sich die sozialen Kontakte auf wenige Personen fokussieren. Solche Netzwerkstrukturen helfen zudem, den negativen Effekt von Vergessen – also wenn wir uns an das frühere Verhalten des anderen nicht mehr erinnern können – auf Kooperationsverhalten abzumildern.

„Für Psychologen ist es faszinierend zu beobachten, wie sich in sozialen Netzwerken kooperatives Verhalten entwickelt“, sagt Thorsten Pachur, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIB und Coautor der Studie. „Interessanterweise scheinen insbesondere auch die Strukturen innerhalb des sozialen Netzwerks dafür wichtig zu sein. Um das genauer zu erforschen, haben wir soziale Netzwerke mit unterschiedlich intensiven Verbindungen mithilfe des Gefangenendilemmas simuliert und miteinander verglichen.“

Das Gefangenendilemma ist ein einfaches Entscheidungsspiel, das Verhaltenspsychologen, Spieltheoretiker und Ökonomen seit Jahrzehnten nutzen, um kooperative Verhaltensstrategien zu untersuchen. Dabei werden zwei Mitspieler, die Gefangenen, eines Verbrechens beschuldigt und unabhängig voneinander verhört. Sie haben die Möglichkeit zu gestehen oder das Verbrechen zu leugnen. Wenn beide Gefangenen das Verbrechen leugnen, erhalten beide eine niedrige Strafe. Gestehen beide, erhalten beide eine höhere Strafe. Gesteht jedoch nur ein Gefangener, während der andere leugnet, geht der Geständige als Kronzeuge straffrei aus, während der andere die Höchststrafe bekommt. Spannend wird es, wenn die Spieler mehrere Runden gegeneinander spielen und auf die Entscheidungen des Gegenspielers aus der vorherigen Runde reagieren können. Für diese Situation sind eine Reihe unterschiedlicher Strategien denkbar. Beispielsweise ist eine der einfachsten und gleichzeitig erfolgreichsten die Tit-for-Tat-Strategie. In dieser kooperiert man in der ersten Runde und ahmt dann stets den letzten Zug des anderen Spielers nach.

Da die Entscheidungen der Spieler recht einfach in mathematische Algorithmen übersetzt werden können, wird das Gefangenendilemma oft anhand von virtuellen Agenten untersucht, die in Computersimulationen mit anderen Agenten interagieren und dafür bestimmte Strategien einsetzen. Um den Einfluss von Kontaktstrukturen sozialer Netzwerke auf die Entstehung von Kooperation zu überprüfen, haben die Wissenschaftler für die Studie eine solche Simulation verwendet.
Eine virtuelle Population von 90 Agenten hatte je 100 Interaktionen zur Verfügung, die sie auf 10 andere Agenten, die Mitglieder ihres sozialen Netzwerks, verteilten. Einige haben mit allen 10 Netzwerkmitgliedern je 10 Runden gespielt, andere wiederum haben die fokussierten Kontaktstrukturen von Menschen nachgeahmt und mit einigen Netzwerkmitgliedern 33 Runden gespielt, mit anderen nur 1 oder 3 Runden. Die Simulation zeigte, dass je ungleichmäßiger die Agenten ihre Interaktionen verteilten, also je fokussierter sie auf eine kleinere Gruppe von Netzwerkmitgliedern waren, umso eher setzte sich kooperatives Verhalten über verschiedene Generationen von Agenten durch.

Zudem programmierten die Forscher den Agenten einen „Gedächtnisverlust“ ein. Obwohl wir uns nicht mehr erinnern können, ob eine Freundin uns letztens ein Getränk ausgegeben hat, müssen wir uns an einem neuen Abend entscheiden, ob wir sie einladen. Dann denken wir vielleicht daran, wie sie uns vor einem Jahr beim Umzug geholfen hat und entscheiden dementsprechend. Auch die Agenten haben gelegentlich „vergessen“, wie sich ihre Mitspieler in der Runde zuvor verhalten haben und mussten dann anhand früherer Runden entscheiden. Die Ergebnisse zeigen, dass obwohl Vergessen die Ausbreitung von Kooperation reduziert, dieser Effekt in sozialen Netzwerken mit fokussierten Kontaktstrukturen abgemildert war. „Auch wenn Menschen aufgrund ihrer natürlichen kognitiven Beschränkungen keine perfekte Erinnerung an vorherige Interaktionen haben, fördern enge Sozialstrukturen längerfristig kooperatives Verhalten“, sagt Thorsten Pachur.

Originalstudie
Stevens, J. R., Woike, J. K., Schooler, L. J., Lindner, S., & Pachur, T. (2018). Social contact patterns can buffer costs of forgetting in the evolution of cooperation. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 285(1880). doi:10.1098/rspb.2018.0407

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