Unstatistik des Monats: Armes Deutschland

30. März 2017

Die Unstatistik des Monats März beschäftigt sich mit den Aussagen des aktuellen Armutsberichts des Paritätischen Gesamtverbandes und stellt der darin genutzten Definition von Armut den Begriff der Ungleichheit gegenüber.

„Die Armut in Deutschland ist auf einen neuen Höchststand von 15,7 Prozent angestiegen.“ Diese Aussage in der Pressemitteilung zum Armutsbericht 2017 des Paritätischen Gesamtverbands ist die Unstatistik des Monats März. „Nach Aussagen des Verbandes markiert dieser Höchstwert einen mehrjährigen Trend wachsender Armut. Er fordert die Politik zu einem entschlossenen Handeln in der Arbeitsmarktpolitik, beim Wohnungsbau, in der Bildung und dem Ausbau sozialer Dienstleistungen und Angebote in den Kommunen auf. Voraussetzung für eine offensive Armutsbekämpfung sei ein rigoroser Kurswechsel in der Steuer- und Finanzpolitik.“

Nach Lesart des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes beginnt Armut in Deutschland unterhalb eines Einkommens von 60 Prozent des Medians. Der Median ist das Einkommen, welches von 50 Prozent der Bevölkerung über- und von 50 Prozent unterschritten wird. Ein Mensch mit Medianeinkommen hat also genauso viele andere über sich wie unter sich. Der ganze Unfug dieser Anbindung der Armutsgrenze an den Median wird deutlich, wenn man die Folgen einer realen Verdopplung oder Verdreifachung aller Einkommen überdenkt: Dann verdoppelt oder verdreifacht sich auch der Median und damit auch die Armutsgrenze, die Armut bleibt gleich, unabhängig davon, wie stark das reale Einkommen der vormals Armen wächst.

Erschwerend kommt hinzu, dass das im Mikrozensus erfasste Nettoeinkommen das im ökonomischen Sinn „wahre“ Einkommen nur sehr unvollkommen misst. Dazu zählt zum Beispiel auch Einkommen aus Schwarzarbeit. Nach Expertenschätzungen kommen so gerade in den unteren Einkommensgruppen und bei Sozialhilfeempfängern nochmals bis zu durchschnittlich 10 Prozent an Einkommen dazu. In Einzelfällen natürlich sehr viel mehr. Zum „wahren“ Einkommen zählt ferner jede Produktion, die nicht am Markt gekauft, sondern im Haushalt selbst erwirtschaftet wurde. Nach Expertenschätzungen beträgt dieses am Markt vorbei erzeugte und nicht im Sozialprodukt erfasste Einkommen inzwischen über 100 Milliarden Euro jährlich; Ikea sei Dank, mit steigender Tendenz. Denn mit der Baumarktbranche und der Heimwerkerbewegung wächst auch die Haushaltsproduktion beziehungsweise das dadurch gesparte Geld. Und schließlich gehören zum wahren Einkommen auch die vielfältigen staatlichen Realtransfers. Würde man etwa, wie es die ökonomische Vernunft verlangt, die Ausgaben des Staates für eine Universitätsausbildung dem Einkommen des Elternhaushaltes zurechnen, wäre fast kein Haushalt mit studierenden Kindern in Deutschland heute arm. Würde man schließlich auf das Lebenseinkommen abzielen, würden auch viele Studenten und Auszubildende nicht mehr als arm eingestuft werden.

Was die Armutsquote des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wirklich misst, wenn auch nur sehr unvollkommen, ist nicht die Armut, sondern die Ungleichheit. Oder, wie es der Paritätische Gesamtverband auf Seite 8 seines Berichts schreibt: „Wo keiner etwas besitzt, gibt es auch keine Einkommensungleichheit und damit keine Armut“. Armut verschwindet nach diesem Armutskonzept nur, wenn alle Personen identisch dasselbe Nettoeinkommen haben, egal ob dies wenig ist (wie beispielsweise in Nordkorea) oder viel.

Anders als in früheren Jahren, als die Medien die in diversen Armutsberichten kolportierten Quoten noch für bare Münze genommen und weiterverbreitet hatten, gab es dieses Mal auch Kritik. Es wäre zu hoffen, dass die vorliegende Unstatistik die letzte ist, die sich dem Thema Armutsquoten widmen muss.

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