Lebenszufriedenheit ist kein Untertan unserer Gene

5. Oktober 2010
Lebenszufriedenheit ist keine reine Frage der Gene. Sie kann sich durch eigene private oder berufliche Entscheidungen dauerhaft verändern – trotz vorgegebener genetischer und in der Kindheit festgelegter Persönlichkeitsmerkmale. Soziales Engagement, ein gesunder Lebensstil und religiöser Glaube haben einen ähnlich starken Einfluss auf die Lebenszufriedenheit, wie fixe Charaktereigenschaften, so etwa Offenheit und Extrovertiertheit. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die in der renommierten internationalen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) erscheint. „Zu versuchen, glücklicher zu werden, galt lange Zeit als ebenso aussichtsreich wie zu versuchen als Erwachsener noch größer zu werden. Dieses Bild widerlegt unsere Studie“, sagt Gert G. Wagner vom DIW Berlin.

Gemeinsam mit den Soziologen Bruce Heady (Universität Melbourne) und Ruud Muffels (Tilburg Universität) wertete Wagner Daten der von ihm geleiteten Langzeiterhebung „Sozio-oekonomisches Panel (SOEP)“  zur Lebenszufriedenheit der Deutschen über einen Zeitraum von 25 Jahren aus. Ihre Ergebnisse widersprechen der in der Psychologie bisher vorherrschenden Ansicht, dass das langfristige individuelle Zufriedenheitsempfinden aufgrund genetischer und persönlicher Merkmale stabil bleibt und nicht willentlich geändert werden kann. „Wir konnten nachweisen, dass private oder berufliche Schlüsselentscheidungen die allgemeine Lebenszufriedenheit dauerhaft verändern können“, so Ruud Muffels. „Es geht dabei nicht um kurzfristige Ereignisse wie einen Lottogewinn oder eine Hochzeit.“

Demnach haben Lebensziele und zentrale Entscheidungen, soziales Engagement, religiöser Glaube sowie die emotionale Stabilität des Partners einen ähnlich starken – mitunter sogar stärkeren – Einfluss auf die Lebenszufriedenheit, als fixe Charaktereigenschaften wie Offenheit und Extrovertiertheit. „Menschen sind am zufriedensten, wenn sie von Freunden umgeben sind. Eine etwas geringere Wirkung haben die eigenen Kinder und Ehepartner“, sagt der Sozialwissenschaftler Bruce Heady. „Allein sein oder nur berufliche Erfüllung zu suchen fördert die Zufriedenheit wesentlich weniger.“

Auch das Arbeits- und Freizeitverhalten und ein gesunder Lebensstil können sich auf die Lebenszufriedenheit auswirken. „Personen mit uneigennützigen oder familienorientierten Zielen sind zufriedener sind als solche, die in erster Linie nach beruflichem und materiellem Erfolg streben“, so Headey. „Frauen, die einen Partner mit wenig Familiensinn haben, sind unzufriedener als wenn sie Single geblieben wären.“

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung sozialer Ziele für ein gutes Leben. Und sie bestätigen, dass zu viel Egoismus und rein ökonomisches Wachstum einer Gesellschaft nicht gut tun“, sagt Gert G. Wagner. Mit Blick auf den gesellschaftlichen Rahmen in Deutschland gibt er zu bedenken. Und: „Wir sind keine reinen Sklaven unserer Gene und unserer frühkindlichen Prägung. Das sollte allen Diskutanten zu denken geben, die uns weiß machen wollen, alles sei genetisch determiniert.“

Stichwort SOEP:

Die Untersuchung basiert auf den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), einer seit 1984 laufenden Langzeitbefragung in Deutschland. Das SOEP ist am DIW Berlin angesiedelt und gibt Auskunft über Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmale, Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Im Auftrag des DIW Berlin werden jährlich mehr als 20.000 Personen in rund 10.000 Haushalten von TNS Infratest Sozialforschung befragt. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.

Gert G. Wagner: „Die Veröffentlichung in PNAS ist für die Langzeiterhebung Sozio-oekonomisches Panel ein wichtiger Schritt. Das SOEP gehört zur  international sichtbaren Forschungsinfrastruktur in Deutschland. Die Veröffentlichung in PNAS unterstreicht, dass die langfristige Investition in das SOEP sich immer mehr lohnt: die seit über 25 Jahren erhobenen Daten, die von etwa 500 Forschergruppen weltweit analysiert werden, werfen immer mehr Ergebnisse im Bereich der Grundlagenforschung und hochrangiger Publikationen ab.“ www.diw.de/soep

Stichwort Max-Planck-Institut für Bildungsforschung:

Gert G. Wagner, Leiter des SOEP am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, ist seit Juli 2008 Max Planck Fellow am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Seit zwei Jahren arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts und des SOEP daran, psychologische Methoden in das SOEP einzubinden, sowie die Panelerhebung durch Spezial-Stichproben für Laborexperimente zu erweitern. Die innovative Methodik dient der umfassenden Erforschung von Ursachen individueller Unterschiede in Lebensverläufen.

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